Sitzungsperiode 2019-2020
Sitzung des Ausschusses IV vom 1. Juli 2020
Interpellation von unserem Senator Alexander MIESEN an Minister ANTONIADIS zur Situation von Alleinstehenden in der Deutschsprachigen Gemeinschaft
Alleinstehende ist eine Gruppe von Menschen, die in Politik und Gesellschaft wenig Lobby hat. Während das Eltern-Kind(er)-Familienmodell ständig im Fokus politischer Entscheidungen steht, gibt es für die Lebenssituation von Alleinstehenden nur selten einen politischen und gesellschaftlichen Reflex.
Dabei steigt die Anzahl dieser Menschen stetig. Laut dem belgischen Statistikbüro zählte Belgien am 01. Januar 2019 insgesamt 4.948.398 Haushalte. Darunter bilden 1.718.738 Menschen einen Single-Haushalt. Das entspricht in etwa 35% aller Haushalte.
Hinzu kommen 489.175 Haushalte mit einem alleinerziehenden Elternteil, die man, je nach Betrachtung, ebenfalls als Alleinstehend bezeichnen kann. Zählt man diese hinzu, gibt es in Belgien 2.207.913 Haushalte mit Alleinstehenden, das entspricht 45% aller Haushalte.
Schon heute ist also fast jeder zweite Haushalt ein Single-Haushalt.
Die Tendenz ist steigend. 1999 lag der Anteil Single-Haushalte (Alleinstehende sowie Alleinerziehende) noch bei 39%. Das föderale Planbüro rechnet bis 2060 mit einem Anstieg dieses Anteils auf 50%. Statbel prognostiziert bis 2070 einen Anstieg der Haushalte mit Alleinstehenden (ohne Alleinerziehende) auf 40%.
Die Gründe für diese Entwicklung sind die Alterung der Gesellschaft und die Veränderung von Wohn- und Lebensgewohnheiten.
Auf die Deutschsprachige Gemeinschaft bezogen, kann man feststellen, dass sich die landesweiten Zahlen wiederspiegeln: Am ersten Januar 2019 zählte die DG insgesamt 34.154 Haushalte. 11.913 Haushalte sind Singlehaushalte, was einem Anteil von 34.9% entspricht und mit Abstand die größte Gruppe aller Haushalte darstellt. Zählt man die 2708 Haushalte mit Alleinerziehenden hinzu, beläuft sich der Anteil auf 42,8%.
Es ist übrigens nicht ganz einfach, die Anzahl Personen zu identifizieren, die tatsächlich alleinstehend sind, also Personen, die keinen Partner und ggf. auch keine Kinder haben. Die Haushaltszusammensetzung ist m.E. aber ein recht guter Indikator. Dennoch ist es möglich, dass Menschen aus einem Mehrpersonenhaushalt Singles sind, etwa im Fall einer Wohngemeinschaft. Aus der Haushaltszusammensetzung lässt sich auch nicht schlussfolgern, ob eine Person in ihrem Leben tatsächlich alleine ist oder ob sie z.B. nicht doch einen Partner oder Kinder hat, die sich um sie kümmern.
Je nach Problematik, die mit dem Single-Dasein verbunden ist, spielen diese Aspekte mal mehr und mal weniger eine Rolle. Dazu später mehr.
Die Gruppe der Alleinstehenden ist zudem eine sehr heterogene Gruppe: es sind Menschen aller Geschlechter, aller Altersklassen und aller sozialen Schichten. Ebenso sind die Gründe für das Alleinsein sehr unterschiedlich: die einen haben sich bewusst für dieses Lebensmodell entschieden, die anderen geraten unfreiwillig in diese Lage. Eine Trennung oder der Tod des Partners können die Ursache sein. Zudem sind nicht wenige in der Situation, dass sie für ihr Leben ganz einfach keinen Partner gefunden haben. Hinter diesen Ursachen verbergen sich nicht selten tragische und traurige Lebensgeschichten.
Es ist meines Erachtens höchste Zeit, dass die Lebenssituation der Alleinstehenden auf die politische Agenda der DG gesetzt wird.
Was aber treibt mich nun konkret an, dieses Thema aufzugreifen?
Natürlich ist es richtig, dass Familien, die einen Mehrpersonenhaushalt bilden, in Politik und Gesellschaft einen hohen Stellenwert genießen müssen. Wenn ich aber genauer hinschaue, dann stelle ich fest, dass in Gesellschaft und Politik vieles auf das Modell Vater-Mutter-Kind, und meistens sogar Vater-Mutter-2 Kinder, abgestimmt ist und Alleinstehende dabei stark ins Hintertreffen geraten sowie mit unter diskriminiert werden.
Um diese Behauptung zu untermauern möchte ich eine Liste von Aspekten anführen, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es geht darum einen Einblick zu erhalten in einige besondere Aspekte, die das Leben als Alleinstehender beinhaltet.
- Wie bereits angedeutet, gilt es als gesellschaftliche, aber auch politische Norm, dass das Leben in einer Partnerschaft stattfindet. Für Single-Urlaub und ein Einzelzimmer werden Aufschläge fällig, Lebensmittel sind beinahe nur auf Paare und Familien abgestimmt und Angebote für Singles gehören zu den Nischenprodukten. Ist in dieser gesellschaftlichen Erwartungshaltung jemand auf Dauer alleinstehend, werden schnell Ressentiments laut. Die Person gerät etwa in den Verdacht, dass etwas nicht mir ihr stimmt oder es wird gemutmaßt, dass die Person z.B. homosexuell sein müsse und aufgrund der Angst vor dem Outing lieber alleine lebt.
- Wer alleine ist, der ist alleine. Sämtliche Entscheidungen, Sorgen und Nöte aber auch Erlebnisse und Freuden können alleinstehende Personen nicht mit einem Lebenspartner teilen, sondern müssen dies nicht selten mit sich alleine ausmachen.
Während man in einer Partnerschaft gemeinsam spontan ein Restaurant besucht, gemeinsam in Urlaub fährt oder gemeinsam Familienfeste besucht, können solch gesellig Orte und Ereignisse vor allem bei Alleinstehenden, die sich nicht bewusst für diese Lebensmodell entschieden haben, ein Gefühl von Einsamkeit auslösen. Es sind aber nur wenige Menschen auf Dauer für die Einsamkeit gemacht, sodass sich diese Situation oftmals negativ auf die körperliche und seelische Gesundheit dieser Menschen auswirkt.
Hinzu kommt die bereits erwähnte gesellschaftliche Erwartungshaltung: Alleine ins Restaurant? Alleine in den Urlaub? Alleine zum Familienfest?… oder um es auf Ostbelgien herunter zu brechen: Alleine zur Kappensitzung? Alleine eins trinken gehen?
Viele Personen teilen diese Erfahrungen mit ihrem Partner. Dadurch, dass es nicht üblich ist alleine auszugehen, müssen Alleinstehende auf Ihren Freundeskreis bauen, um Teil dieses gesellschaftlichen Lebens zu bleiben. Sollte dies nicht möglich sein werden viele Alleinstehende aus gewissen Aktivitäten automatisch ausgeschlossen und auf diese Weise noch mehr isoliert. Es entsteht eine Art Spirale in die Einsamkeit.
Neben solcherlei Druck und Gefühlen gibt es für Alleinstehende aber auch knallharte Lebensrealitäten. Ein ganz Wesentlicher Aspekt beim Leben als Alleinstehender sind die Lebenshaltungskosten.
- Die Einkommenssteuer: Die OECD misst den Steuerdruck anhand des sogenannten „Steuerkeils“. Der Steuerkeil misst die Differenz zwischen den Arbeitskosten des Arbeitgebers und dem, was der Arbeitnehmer letztendlich netto in der Tasche hat[1]. Der Steuerkeil für einen alleinstehenden Durchschnittsverdiener belief sich 2019 im OECD-Durchschnitt auf 36%. 2019 beläuft sich dieser Steuerkeil in Belgien auf 52.2%. Damit liegt Belgien an der Spitze, obwohl Belgien 2019 zu den vier OECD-Ländern gehörte, in denen dieser Steuerkeil am stärksten gesunken ist (- 1,09%). Diese Senkung ist dank der steuerlichen Maßnahmen der Michel-Regierung zustande gekommen. Zum Vergleich: Hinter Belgien liegen die Länder Deutschland (49.4%), Italien (48%) und Österreich (47.9%). Fazit: Singles ohne Kinder sind die am stärksten besteuerten Personen.
- Ein weiterer Aspekt betrifft das Wohnen. Ist man Mieter, so müssen die Miete und alle Nebenkosten alleine gestemmt werden. Ist man Eigentümer muss die jährliche Immobiliensteuer, Reparaturen, Unterhalt und Gebühren von einem einzigen Einkommen finanziert werden, pro Kopf also eine deutlich höhere Last als in Mehrpersonenhaushalten. Als konkretes Beispiel möchte ich die Energiekosten nennen. Sicherlich sind diese Kosten teilweise auch variable Kosten, doch eben bei weitem nicht alle. Die Energiekosten beinhalten immer einen gewissen Fixanteil. So verwundert es auch nicht, dass der Energiearmutsbarometer der König Baudouin Stiftung 2019 angibt, dass 21,7% der Familien von Energiearmut betroffen sind. Bei Singles hingegen sind es 36.1%!
- Nicht zu unterschätzen sind auch die Gebühren im Zusammenhang mit dem Erwerb von Immobilien. Die Einregistrierungsgebühr, die Notariatskosten und nicht zu Letzt die Investitionskosten aus einer einzigen Tasche zu bezahlen, ist für viele Alleinstehende schlichtweg nicht möglich. Laut einem Presseartikel der flämischen Zeitung DeMorgen vom Oktober 2019 können sich 80% der Paare in Belgien Eigentum leisten, bei Alleinstehenden sind es nur 50%. Das liegt an den Anschaffungskosten, aber auch an den Unterhaltskosten. Auch hier entsteht häufig eine Spirale in die Einsamkeit: mehr Kosten bedeutet weniger finanzielle Mittel für Freizeitaktivitäten, weniger Freizeitaktivitäten vermindern die Chancen einen Partner kennen zu lernen usw.
- Ein wunder Punkt für viele Singles ist der unerfüllte Kinderwunsch. Es ist nämlich nicht so, dass nur weil jemand keinen Partner hat, diese Person nicht doch einen Kinderwunsch haben kann. Unerfüllte Kinderwünsche können das Einsamkeitsgefühl weiter voran treiben, vor allem wenn eine Person in einem Umfeld lebt, in dem sich für viele Freunde, Geschwister und Bekannte dieser Kinderwunsch erfüllt. Eine Adoption ist eine Möglichkeit, doch ist dies eher eine theoretische Lösung. Nicht nur wegen der damit verbundenen Kosten, sondern auch mit der damit verbundenen Verantwortung und Verpflichtung, die von einer einzigen Person getragen und erfüllt werden müssen.
- Wie steht es um den Nachlass eines kinderlosen Alleinstehenden? Ist es gerecht, dass eine solche Person nicht wenigstens teilweise über seinen Nachlass frei bestimmen kann, ohne dass der Fiskus unerhört tief in die Tasche greift? Warum verfügt eine Person, die Kinder hat, über deutlich günstigere Erbschaftskonditionen als eine Person die keine Kinder hat? Die politische Ausrichtung auf das Vater-Mutter-Kind Modell lässt grüßen…
- Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Krankheits- und Pflegefall eines Alleinstehenden. Während Menschen die in einer Partnerschaft leben gegenseitig aufeinander aufpassen können oder Menschen die erwachsene Kinder haben, sich notfalls auf diese Kinder verlassen können, sind kinderlose Alleinstehende im Krankheits- oder gar Pflegefall auf sich alleine gestellt. Bei einer Grippe muss man selbst zur Apotheke, bei einem Knochenbruch hat man keine Hilfe um sich durch das Haus zu bewegen oder bei einer chronischen oder schweren Erkrankung wie Krebs sind nicht nur die körperlichen Einschränkungen alleine zu bewältigen, sondern auch die seelischen Belastungen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
zusammenfassend möchte ich sagen, dass die Gruppe Alleinstehender groß ist und stetig wächst, ihre Lebenssituationen spezifisch sind und diese spezifischen Situationen viel zu wenig politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten.
Ich erlaube mir daher, Ihnen, werter Herr Minister, folgende Fragen zu stellen:
- Inwiefern ist der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft die Situation von Alleinstehenden bewusst?
- Über welche Informationen verfügen Sie in Bezug auf die sozioökonomische Situation von Alleinstehenden in der DG?
- Welche Maßnahmen im Sozialbereich werden seitens der Regierung ergriffen, um der Situation von Alleinstehenden Rechnung zu tragen?
- Kennen Sie in der DG andere Initiativen oder Angebote, die sich an Alleinstehende richten?
- Wie viele Anträge auf Adoptionen wurden bisher durch eine alleinstehende Person eingereicht? Wie vielen wurde stattgegeben? Sollte es eine geringe Anzahl sein, woran machen Sie das fest und gedenkt die Regierung im Adoptionsverfahren Alleinstehende entsprechend anders zu berücksichtigen?
- Können Sie sagen ob und wie viele Alleinstehende in der DG Verantwortung für ein Pflegekind übernommen haben? Sollte es eine geringe Anzahl sein, woran machen Sie das fest und gedenkt die Regierung im Verfahren für Pflegekinder Alleinstehende entsprechend anders zu berücksichtigen?
- Welche Möglichkeiten bieten sich einem Alleinstehenden im Krankheits- oder Pflegefall? Welche kurz- und langfristigen Angebote kann ein Alleinstehender beanspruchen? Gibt es in diesem Angebot Unterschiede je nach Alter?
- Wie gedenkt die Regierung bei der Ausgestaltung der Zuständigkeit für das Wohnungswesen die Bedürfnisse von Alleinstehenden zu berücksichtigen?
[1] Er ergibt sich aus der Summe der Einkommenssteuern sowie der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, abzüglich erhaltener Transferleistungen im Verhältnis zu den Gesamtkosten des Arbeitgebers
Antworten des Ministers
1) Kolleginnen und Kollegen,
der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist sich der Vielfalt der Lebensformen
bewusst. Die Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Wandel.
Die Zahl der alleinstehenden Menschen steigt. Wobei ein nicht zu unterschätzender Teil
dieser Haushalte schon allein auf das Ableben des Lebenspartners im hohen Alter
zurückzuführen ist.
So werden selbst Bewohner der Wohn- und Pflegezentren in den Bevölkerungsdiensten
der Gemeinden zu den Single-Haushalten geführt, obschon sie zwar nicht mehr in einer
Lebenspartnerschaft, wohl aber in Wohnbereichen gemeinsam leben.
So sind in Ostbelgien allein zwischen 2015 und 2019 334 Single-Haushalte über 65 Jahre
hinzugekommen.
Insgesamt gab es laut unserem Statistikportal im letzten Jahr 4675 Single-Haushalte von
über 65-jährigen. Das sind fast 40% aller Single-Haushalte.
Außerdem gibt es viele Menschen, die in einer Partnerschaft leben, aber dennoch ihre
eigenen Wohnungen behalten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Vor allem Frauen
behalten dadurch ihre soziökonomische Selbstständigkeit.
Das gilt nicht nur für junge Menschen, die ihre erste Wohnung beziehen, sondern auch
für ältere Menschen.
Viele ziehen es vor, sich in jungen Jahren persönlich zu entfalten und entscheiden erst zu
einem späteren Zeitpunkt für eine Heirat.
Vor allem bei Alleinerziehenden dauert der Schritt zur Patchwork-Familie unter einem
Dach in der Regel länger.
Beziehungen sind nicht mehr der Bund fürs Leben. Sie sind kurzlebiger geworden. Was
früher eher verpönt war, vor allem für Frauen, ist heute kein Problem mehr und das ist
auch gut so. Niemand sollte gezwungen werden, einen bestimmten Lebensentwurf zu
leben. Auch das gehört zum gesellschaftlichen Wandel.
Schließlich gibt eine Reihe von Menschen, für die das Leben als Single eine
Wahlmöglichkeit der individuellen Lebensgestaltung geworden ist.
Ich führe all dies aus, um zwei Feststellungen zu machen:
1. Die Bevölkerungsstatistik sagt zu wenig über die Lebenssituation der Menschen
aus, die sich hinter den Zahlen verbergen. Die genaue Zahl der tatsächlich
Alleinstehenden zu identifizieren, bleibt also schwierig.
2. Die individuellen Lebensentwürfe der Menschen haben sich stark gewandelt.
Alleinstehend zu leben, kann auch eine bewusste Entscheidung sein.
Ich warne also häufig selbst davor, den Status des Alleinstehenden als eine gefährdete
Situation zu betrachten.
2) Wie sieht die sozioökonomische Situation von Alleinstehenden aus? Im Statistikportal
der Deutschsprachigen Gemeinschaft auf www.ostbelgienstatistik.be und
www.ostbelgien.inzahlen.be stehen aktuelle demographische Daten zur Anzahl der
Alleinerziehenden und Alleinstehenden zur Verfügung.
Was die sozioökonomischen Indikatoren betrifft, sind in diesem Portal die Daten der
Alleinstehenden bezüglich des Eingliederungseinkommens bis zum Jahr 2019 verfügbar.
Die Daten stammen vom SPP Intégration Sociale und werden monatlich auf der
Internetseite des Dienstes aktualisiert. Ebenso stehen dort Zahlen zur gleichgestellten
Sozialhilfe für die Alleinstehenden zur Verfügung.
Den Daten zufolge waren 2019 44,8% der Bezieher von Eingliederungseinkommen
alleinstehend. Damit sind die Alleinstehenden überrepräsentiert: 34,9% aller Haushalte
fallen nämlich auf Alleinstehende zurück. Dass diese Zahl so hoch ist, kann auch auf den
perversen Effekt zurückgeführt werden, dass die Eingliederungshilfe höher ausfällt, wenn
man getrennt wohnt und mit dem Einkommen des Mitbewohners verrechnet wird, sobald
man in einem gemeinsamen Haushalt lebt.
Diesen perversen Effekt gibt es übrigens auch beim Arbeitslosengeld. Wenn wer mit
jemanden zusammenlebt, der in einem Beschäftigungsverhältnis ist, dann fällt die
Arbeitslosenunterstützung geringer aus, als wenn die betreffende Person allein leben
würde.
Es gibt also auch finanzielle Vorteile für Alleinstehende, obschon diese meiner Meinung
nach nicht den eigentlichen Lebensentwürfen der Bezieher entsprechen.
Mir sind zahlreiche Menschen bekannt, die allein aus diesem Grund nicht als
zusammenlebend registriert sind.
Leider gibt es aus dieser Quelle keine Zahlen zu den Alleinerziehenden.
Außerdem befinden sich auf der Internetseite von Ostbelgien Statistik die Daten zur
Belegung der Notaufnahmewohnungen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Demnach stellten zum 31.12.2017 Alleinlebende die größte Gruppe der Haushalte dar
(68%), gefolgt von den Alleinerziehenden (16%), Familien (12%) und Paaren (5%).
Mehr als jede zehnte Unterbringung betraf eine alleinerziehende Mutter (13%). Die
Alleinlebenden und Alleinerziehenden sind hier somit auch überrepräsentiert und eher
von einer Notlage betroffen.
Zusätzlich verfügen wir noch Statistiken zu folgenden sozioökonomischen Angaben zu
Alleinstehenden für die Bereiche der Schuldnerberatung sowie des Entschuldungsfonds:
- die von der sozialen Immobilienagentur verwalteten Wohnungen,
- die Lebensmittelbank,
- die Miet- und oder Umzugsbeihilfe und
- den Sozialkredit.
Schlussendlich können in der Datenbank der Banque Carrefour de la Sécurité Sociale
sozioökonomische Daten abgerufen werden. Da diese Datenbank sehr viele Daten
beinhaltet, sind beispielhaft zwei interessante Feststellungen hervorzuheben. So wird
deutlich, dass die Alleinstehenden und die Alleinerziehenden bei den Arbeitnehmern
unterrepräsentiert und bei der Arbeitslosigkeit, der Arbeitsunfähigkeit und dem
Eingliederungseinkommen überrepräsentiert sind. Einer der Gründe dürfte die Höhe der
Hilfen sein, aber das ist bei weitem nicht der einzige Grund.
Wie bereits in der Frage erwähnt worden ist, handelt es sich bei der Gruppe der
Alleinstehenden um eine sehr heterogene Gruppe, welche jedoch oft dem erhöhten Risiko
der Armut ausgesetzt ist.
Daher gibt es neben dem statistischen Material auch einen regelmäßigen Austausch mit
den Sozial-Organisationen und mit dem Dienst zur Bekämpfung von Armut, prekären
Lebensumständen und sozialer Ausgrenzung.
Dies, um die Ergebnisse in die Präventionsarbeit gegen Armut miteinfließen zu lassen,
aber auch, um gegen die anderen Phänomene, die mit der Lebensform wie Vereinsamung
einhergehen, zu bekämpfen.
Darüber hinaus ist 2015 in Zusammenarbeit mit der Uni-Mons eine Studie zur Armut,
Prekarität und Verwundbarkeit in Ostbelgien durchgeführt worden, die effektiv das
Merkmal „Alleinstehend“ als Indikator für Armut nutzt. Hier sind auch Erfahrungsberichte
durch Organisationen und Betroffene in die Studie mit eingeflossen.
3) 7) 8) Viele Angebote im Sozialbereich werden durch die Regierung unterstützt. Vielem
aber nicht alle richten sich ausschließlich an Alleinstehende. Hervorheben kann man die
folgenden:
• Die Sozialen Treffpunkte richten sich einerseits an Personen, die sich einsam fühlen
(ältere Personen, alleinlebende Personen) aber auch an Personen mit wenig finanziellen
Mitteln, wie zum Beispiel alleinerziehende Personen. Jeder Sozialer Treffpunkt hat
punktuelle Angebote, um die oben erwähnte Zielgruppen zu erreichen: zum Beispiel
Männer- und Frauentreffs oder Kinderhorte bzw. punktuelle Kinderbetreuung zur Entlastung der Eltern.
Für Ältere gibt es spezielle Angebote wie gemeinsames Frühstücken, das Nachmittagscafé und viele mehr, die der Vereinsamung der alleinstehenden Senioren entgegenwirken. Auch das gemeinsame Weihnachtsfest in den Sozialen Treffpunkten wird von Alleinstehenden gerne genutzt.
• Viele ÖSHZ bieten ebenfalls spezifische Angebote wie Haushaltshilfen, den Wasch-Salon, einen Einkaufsdienst, das Essen auf Räder, den Hausnotruf oder spezielle Projekte im
Bereich Wohnen für junge, aber auch für ältere Alleinstehende. Diese Hilfen richten sich
auch an Alleinstehenden mit einem Einkommen. Hinzu kommen natürlich die klassischen
Sozialhilfen.
• Die Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben schaut sich die individuelle Situation der
Menschen mit Unterstützungsbedarf an. Ob es Alleinstehende mit einer Beeinträchtigung
sind oder ob diese altersbedingt Unterstützung brauchen – die DSL schlägt passende
Angebote im Bereich Wohnen, Arbeiten und die Freizeit vor.
Hinzu kommt eine Reihe von Diensten der häuslichen Hilfe im weitesten Sinne, die
Menschen dabei unterstützen, selbstständig zuhause zu leben. Viele ihrer Kunden sind
Alleinstehende, die auf wertvolle Dienstleistungen zurückgreifen. Dazu zählt die
Familienhilfe, die Haushaltshilfe, die Krankenwache, Gartenarbeiten, Näh- und
Bügelarbeiten, Fahrten, Einkaufsdienst, Einzelbegleitungen und Gruppenaktivitäten und
viele weitere. Diese Angebote richten sich meistens an alle Altersgruppen.
• Das Begleit- und Therapiezentrum sowie die Telefonhilfe 108 bieten psychologische
Unterstützung an. Gerade die Telefonhilfe kann eine wertvolle Stütze sein. 62,4% der
Anrufer im Jahr 2018 waren Alleinstehende.
• Im Kindergeldsystem wurde ein Sozialzuschlag eingeführt, von dem viele
alleinerziehende Mütter und Väter profitieren. Die Zahl der Empfänger dieses Zuschlags
ist dank der Reform angestiegen.
Spezifisch für Frauen gibt es schließlich das Beratungsangebot und Frauenfluchthaus.
In der Jugendhilfe haben wir Wohnangebote und ambulante Dienste für Jugendliche, die
allein sind.
Neben den Wohn- und Pflegezentren, die ebenfalls gegen die Vereinsamung der Senioren
vorgehen, regen wir seit vielen Jahren an, dass alternative Wohnformen für Senioren
bzw. Mehrgenerationen-Häuser entstehen sollten.
Wir bezuschussen bereits entsprechende Projekte und ich glaube, dass wir mit der
Zuständigkeit Wohnungswesen neue Möglichkeiten sich bieten werden.
Sollte man das System auf Alleinstehende ausrichten? Zunächst müsste man sich mit der
Frage beschäftigen, wie aktuelle Situation aussieht.
Bereits jetzt gibt es Alleinstehende, die vor allem nach dem Ableben ihres Partners oder
nach dem Auszug der Kinder in einer öffentlich geförderten Wohnung leben.
Aktuell gibt es kein Kriterium, das Alleinstehende für einen Einzug bevorzugt.
Allerdings hat ein alleinerziehender Vater oder eine alleinerziehende Mutter eher eine
Chance, Zugang zu einer öffentlich geförderten Wohnung zu erhalten als eine Familie, in
der beide Elternteile zusammenleben.
Woran liegt das? Das Haushaltseinkommen der alleinerziehenden Person ist niedriger.
Außerdem werden Unterhaltszahlungen und das Kindergeld werden als solches nicht
herangezogen.
Sollte man in Zukunft alleinstehende Personen anders berücksichtigen? Das ist eine
Frage, über die wir gerne in der Arbeitsgruppe Wohnungswesen und Energie austauschen
sollten.
Ich denke, dass es gerade bei Senioren hilfreich wäre, wenn man gemeinschaftliche
Wohnmodelle schaffen würde. Diese beugen der Einsamkeit vor und unterstützen die
Selbstständigkeit der Senioren.
Diese Wohnformen könnte man mit Menschen im mittleren Alter ergänzen.
Allerdings müssten die Steuerpolitik und die Soziale Sicherheit, beides Bereiche, die nicht
von der DG beeinflusst werden können, gegebenenfalls nachziehen.
Das sind nur einige der Beispiele aus dem Sozialbereich.
Es gibt sicherlich weitaus mehr als das. Vor allem auch in den anderen
Zuständigkeitsbereichen.
Denn es wäre meiner Meinung nach ein Fehler, die Situation von Alleinstehenden allein
als eine sozialpolitische Herausforderung zu betrachten.
Gerade vor dem Hintergrund der eingangs von mir geschilderten gesellschaftlichen
Entwicklungen, haben sich viele dieser Menschen bewusst für diesen Lebensentwurf
entschieden.
Allein die sozialpolitische Dimension zu beleuchten, wäre demnach zu einseitig und würde
ungewollt stigmatisieren.
Vielmehr müsste man sich in der Tat auch mit den steuerlichen Fragen beschäftigen.
Genauso wie man auch die Bereiche Beschäftigung, Ausbildung und Erwachsenenbildung,
Kultur und Sport betrachten müsste.
Nichtsdestotrotz kann der Bereich Soziales auf weitere Bedarfe in diesem Lebensentwurf
reagieren. Unter anderem aus diesem Grund habe ich in der letzten Legislaturperiode
einen Projektaufruf ins Leben gerufen, um neue Initiativen zu unterstützen, die sich
gegen die soziale Isolation richten. So gibt es zum Beispiel einen Malkurs in Eupen, der
sich gezielt an alleinstehende Menschen richtet, die soziale Kontakte knüpfen wollen.
4) Natürlich gibt es auch andere Initiativen in der DG, die sich an Alleinstehende richten
und von der DG nicht strukturell unterstützt werden. Es gibt das Haus der Begegnung
und das Mittendrin des Josephine Koch Service in Eupen.
Es gibt die Viertelessen und Mittagstische in vielen Gemeinden.
Es gibt Seniorennachmittage, Nachbarschaftshilfen, Skat- und Wandergruppen.
Vieles davon wird von der Bevölkerung eingerichtet. Aus Eigeninitiative und ohne die
Unterstützung der öffentlichen Hand. Der Staat muss nicht überall mitmischen. Er sollte
den Bürgern den Freiraum für eine persönliche und selbstorganisierte Entfaltung bieten.
5) Hinsichtlich der Adoptionen kann ich mitteilen, dass in Belgien sowohl Alleinstehende
als auch Paare ein Kind adoptieren dürfen. Sie durchlaufen hierfür dieselbe
Adoptionsprozedur:
• Teilnahme an einer Adoptionsvorbereitung,
• Stellung eines Antrags für ein Eignungsurteil beim Familiengericht,
• anschließend die Adoptionsvermittlung über einen Vermittlungsdienst oder über
die Zentrale Behörde der Gemeinschaft für Adoption, kurz ZBGA,
• schlussendlich die Adoption des Kindes
• und anschließende Nachbetreuung.
Die Deutschsprachige Gemeinschaft garantiert außerdem den Zugang zu ihrem
Adoptionsverfahren ohne Diskriminierung:
Da das Adoptionsverfahren besondere Herausforderungen mit sich zieht, sichert die
Deutschsprachige Gemeinschaft allen Adoptionskandidaten, ob Paaren oder
Alleinstehenden, eine angemessene Information, Vorbereitung, Begleitung und
Unterstützung während des gesamten Verfahrens zu. Sie respektiert ihr individuelles
Projekt und dessen Grenzen.
Seit 2006 haben insgesamt zwei alleinstehende Frauen an der Adoptionsvorbereitung der
Deutschsprachigen Gemeinschaft teilgenommen (Insgesamte Teilnehmerzahl seit 2006:
179).
In beiden Fällen handelte es sich um eine Vorbereitung auf eine extrafamiliäre Adoption
und beide Frauen interessierten sich ausschließlich für eine Inlandsadoption.
Zwar kann nach belgischem Recht eine alleinstehende Person adoptieren, aber in der
Praxis ist es doch schwierig.
In Belgien dürfen die abgebenden Eltern äußern, welche Eigenschaften die adoptierende
Familie haben sollte (gleichgeschlechtliches/nicht gleichgeschlechtliches Paar, Paar oder
alleinstehende Person, …).
Diese Wünsche werden berücksichtigt, wenn für ein zu adoptierendes Kind die passenden
Adoptionskandidaten gesucht werden.
Unser Dienst stellt fest, dass die wenigsten leiblichen Eltern wünschen, dass ihr Kind von
einer alleinstehenden Person adoptiert wird.
Auch im Rahmen der internationalen Adoptionen sind Adoptionsverfahren für
Alleinstehende schwieriger.
Letzteres liegt daran, dass die rechtlichen Bedingungen in den Herkunftsländern der
Kinder im Allgemeinen strenger sind als die belgischen Bedingungen und bestimmte
Personengruppen (Alleinstehende, ältere Personen, unverheiratete Paare,
gleichgeschlechtliche Paare) daran hindern, dort ein internationales Adoptionsprojekt
durchzuführen oder abzuschließen.
Nichtsdestotrotz gibt es einige Länder, in denen Einelternfamilien als
Adoptionskandidaten zugelassen werden. Andere Länder akzeptieren deren Antrag
beispielsweise nur für Adoptionen von älteren Kindern oder Kindern mit ganz spezifischen
Bedürfnissen (beispielsweise eine Behinderung).
Adoptionskandidaten bleiben an die Gesetzgebung der Herkunftsländer der Kinder und
deren Kriterien gebunden.
6) Wie sieht es bei Pflegekindern aus? Von den 36 Langzeitpflegefamilien, welche aktuell
ein oder mehrere Kinder betreuen, sind 6 Alleinstehende (Frauen) dies sind immerhin
16,6% aller Pflegefamilien.
Hiervon haben sich manche bereits als Alleinstehende für eine Pflegschaft beworben,
andere sind im Lauf der Pflegschaft durch Trennung oder Tod des Partners alleinstehend
geworden.
Der Familienstand ist für die Kandidatur und Anerkennung unerheblich. Bei Paaren
müssen beide Partner der Pflegschaft zustimmen.
Alleinerziehende Pflegeeltern stellen sich einer doppelten Herausforderung: jener, der
Alleinerziehenden (kein Partner, um sich in der Betreuung der Kinder abzuwechseln,
alleine Beruf und Familie vereinbaren) und jener der Pflegeeltern (besonderer zeitlicher
Aufwand durch Therapien und Besuchskontakte; anspruchsvolle Verhaltensweisen der
untergebrachten Kinder, …).
Das erweiterte familiäre Umfeld (erwachsene Kinder, Großeltern, etc.) ist in diesen
Situationen besonders wertvoll.
Gegenwärtig denken wir über Maßnahmen nach, um Pflegefamilien verstärkt zu
unterstützen. Von diesen Maßnahmen würden auch alleinerziehende Pflegeeltern
profitieren.
Ich denke, dass ich in den vergangenen Minuten einige Antworten auf Ihre Fragen liefern
konnte, aber bei weitem vieles offen bleibt, da die DG auf viele Lebensbereiche keinen
Einfluss hat bzw. letztlich einige unserer Angebote durch föderale und regionale Systeme
beeinflusst werden.
Aus diesem Grund nutze ich die Gelegenheit, um Sie als Gemeinschaftssenator dazu zu
ermuntern, Ihre Möglichkeiten auf föderaler Ebene zu nutzen, um bei der Steuer- und
Sozialpolitik Reformen anzulegen, die der besonderen Situation der Alleinstehenden
besser Rechnung tragen.
Vor allem die perversen Effekte im Bereich Einkommen und gemeinschaftliches Wohnen
zwingen viele Menschen getrennt zu leben bzw. das System auszunutzen.
In solchen Fällen geht es meiner Meinung nach weniger um selbstbestimmte
Entscheidungen für einen bestimmten Lebensentwurf, sondern um die eigene
Existenzsicherung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!