Interpellation von Herrn FRECHES (PFF) an Herrn Minister MOLLERS zum Thema „Landwirtschaft – ein Fall für die Industrielehre?“
Kurze Wege – langer Genuss!
Regionalität und Frische stehen weltweit hoch im Kurs – auch bei uns in Ostbelgien!
Ein bewusster Konsum und eine nachhaltige Produktion sind für uns Liberale DIE Motoren für eine erfolgreiche Regionalentwicklung. Bekanntermaßen spielt die „Werkbank unter freiem Himmel“ in der Wertschöpfungskette eine besonders große Rolle und landwirtschaftliche Erzeuger, ja landwirtschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer, arbeiten Tag für Tag und Hand in Hand mit regionalen Produzenten zusammen, um regionale Spitzenprodukte auf den Markt zu bringen.
Doch die Landwirtschaft ist schon lange nicht mehr so wie unsere Großeltern sie einst kannten. Forschung und Entwicklung haben auch vor der Agrarwirtschaft keinen Halt gemacht, verschärfte Wettbewerbsbedingungen gelten auf dem europäischen Parkett, der Arbeitsmarkt durchlebt einen bedeutenden Wandel ….
Belgienweit nimmt die Zahl der Landwirte immer weiter ab. Gab es im Jahre 2007 noch 872 landwirtschaftliche Betriebe in Ostbelgien, so wurden 2016 nur noch 624 gezählt.
Am 31. Dezember 2016 waren in der DG laut Angaben des Landesinstituts der Sozialversicherungen für Selbständige (LISVS/INASTI) insgesamt 6.416 Personen als Selbständige gemeldet. Haupterwerbszweige für die Selbständigen in Ostbelgien sind Handel, Banken und Horeca … Die Landwirtschaft befindet sich mittlerweile nur mehr auf dem vierten Platz mit 19%.
Eine Zukunftsinitiative muss für die DG in die Wege geleitet werden, wenn die Landwirtschaft auch morgen noch das Rückgrat unseres ländlichen Raumes bilden soll und wir unseren Wirtschaftsstandort Ostbelgien nachhaltig sichern wollen.
Der Nachwuchssicherung kommt an dieser Stelle eine große Bedeutung zu. Doch wie sehen die Ausbildungszweige im landwirtschaftlichen Bereich bei uns ins Ostbelgien aus? Was ist möglich? Welche Perspektiven werden im Bereich der Landwirtschaft geboten?
Da wäre zum einen die 3-jährige Grundausbildung zum landwirtschaftlichen Betriebsleiter, zum anderen die landwirtschaftliche Weiterbildung. Für die Zukunft gilt es, die landwirtschaftliche Ausbildung aufrechtzuerhalten, zu optimieren, angeeignete Kompetenzen anzuerkennen und weitere Qualifizierungsmaßnahmen aufzubauen. Wieso nicht im Bereich der Industrielehre?
Am 1. Juli 2014 wurde die Zuständigkeit für die Industrielehre mit der 6. Staatsreform an die DG übertragen. Die Industrielehre verhält sich komplementär zur mittelständischen Grundausbildung, führt jedoch nicht in die Selbstständigkeit. Hervorzuheben ist, dass die Teilnehmerzahl in Ostbelgien relativ begrenzt ist.
Aufgrund des ständigen Arbeitskräftemangels wurde die Industrielehre 2004 auf den Nahrungsmittelbereich ausgeweitet – ein Sektor, der laut REK zusammen mit der Landwirtschaft eine wichtige Rolle für unseren Wirtschaftsstandort OSTBELGIEN spielt: „die Landwirtschaft und mit ihr das Ernährungshandwerk können zum einen für die Verbraucher und zum anderen für den Tourismus einen wertvollen Beitrag zur Wertschöpfung leisten, wenn verstärkt Qualitätsprodukte aus der DG in Zertifizierungs- oder Markenprogramme integriert werden, weil dies die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen deutlich stärkt“.
Ein weiterer Punkt, der sich bei der Diskussion u.a. mit Vertretern des „Grünen Kreises“ oder auch mit Vertretern des Bauernbundes herauskristallisiert hat, ist der Aspekt der sogenannten Quereinsteiger.
Auch hier könnten neue Möglichkeiten geschaffen werden um Quereinsteigern einen besseren Einblick in die Berufswelt eines Landwirts zu gewähren.
Ein mehrmonatiger Aufenthalt in einem landwirtschaftlichen Betrieb würde dem Industrielehrling ermöglichen, grüne Berufsbilder besser kennenzulernen und einen praktischen Bezug zum Alltag eines Landwirts aufzubauen. Dieser einmalige, lehrreiche und vielleicht auch für die Zukunft prägende Blick hinter den Kulissen könnte einer Berufswahlvorbereitung im primären Wirtschaftsbereich gleichkommen.
Der Landwirt ist sowohl Betriebsleiter als auch Landwirtschaftsarbeiter. Das tiefgehende Verständnis der Berufe im landwirtschaftlichen Bereich geht mit der Kenntnis der Kompetenzen und Handlungsfelder einher, die da wären:
• Einhaltung der geltenden sanitären und sicherheitstechnischen Normen
• Gute körperliche Verfassung
• Handhabung und Wartung von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen
• Lenken von landwirtschaftlichen Fahrzeugen
• Kenntnis der landwirtschaftlichen Anbautechniken
• Wissenschaftliches Basiswissen (Chemie, Physik, Biologie)
• Kenntnisse in Botanik und Pädologie
• Marktkenntnisse
• Verwaltungskompetenzen
• Kenntnisse in Buchhaltung
• Leitung eines Teams
Aber auch soziale Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Beobachtungsgabe, Entscheidungsfreudigkeit, Umweltbewusstsein, Liebe zur Natur, Unternehmergeist und Flexibilität sind gefragt.
Unabhängig von der Vielzahl an Möglichkeiten, die eine Öffnung der Industrielehre auf andere Sektoren ermöglicht, käme sicherlich dem Aspekt der Auswahl und der Definition der Ausbildungsbetriebe einer mehr als wichtigen Rolle zu.
Auch hier würde sich eine offene Diskussion mit den in der DG befindlichen Betrieben als richtungsweisend für die Zukunft erweisen.
Denn durch diesen breiten, vom Sektor getragenen Dialog könnten die Parameter und die Bedingungen, die ein Ausbildungsbetrieb zu erfüllen hat, definiert werden.
Neue Perspektiven und Chancen für Jugendliche aber auch Erwachsene würden geschaffen, die dazu führen könnten, neues Interesse zu erwecken und die Attraktivität der Landwirtschaft aufzuwerten.
Im Vergleich zu einem direkten Einstieg in eine duale mittelständische Lehre wäre eine praxisorientierte Industrielehre ein flexibleres Modell– da sie defacto nur auf eine Dauer von einigen Monaten begrenzt ist.
Meine Damen und Herren,
Aus einem « bald » sollte man viel öfter ein « jetzt » machen, bevor ein « nie » daraus wird.
Wir möchten durch diese Interpellation die Industrielehre nochmals in Erinnerung rufen. Denn die Industrielehre und deren Zukunft liegen in unseren Händen.
Dass unsere Unternehmen sich schwer tun, passende Fachkräfte zu finden, brauche ich wohl nicht eigens zu erwähnen. Für uns Liberale ist und bleibt die Antwort auf den Fachkräftebedarf und –mangel die Aus- und Weiterbildung von qualifiziertem Personal. Die Industrielehre ist ein bildungspolitisches Konzept, ja ein Werkzeug unseres politischen Handwerks, welches wir auch im Sinne unserer Unternehmen nutzen müssen.
Zwar weist der erste Anblick des Wortes „Industrielehre“ direkt auf Industriebetriebe wie das Kabelwerk oder andere produzierende industrielle Unternehmen hin. Nichtsdestotrotz sehen wir in der Erweiterung auf weitere Sektoren neue und innovative Ansätze, um unterschiedliche Qualifikationsstufen auszubauen und die Attraktivität unseres ostbelgischen Ausbildungssystems zu steigern. Denn genau wie Sie, werter Herr Minister, betrachten wir die Industrielehre als „ein interessantes Instrument, dass es uns ermöglichen wird, in einigen Gebieten Fortschritte zu erzielen“ und „jedem Jugendlichen individuell die für ihn beste Ausbildungsmöglichkeit zu bieten“.
Wieso nicht für landwirtschaftliche Berufsbilder?
Für Natur- und Tierliebhaber, die lieber im Freien als in einem Büro schuften?
Wie ich es bereits in meiner Rede zum DEKRETENTWURF ÜBER MASSNAHMEN IM UNTERRICHTSWESEN im Jahre 2017 zum Ausdruck gebracht habe, muss der Bekanntheitsgrad und die Attraktivität der Industrielehre weiter ausgebaut, mehr Jugendliche für diesen Ausbildungszweig begeistert und zusätzliche Berufssektoren wie die Landwirtschaft mit ins Boot genommen werden. Die Industrielehre könnte es uns erlauben, zweigleisig, ja auf 2 Ebenen unterwegs zu sein: zum einen auf der Ebene niedrigschwelliger angesiedelter Ausbildungsgänge, zum anderen auf der Ebene der Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte. Wo wir wieder beim Thema der unterschiedlichen Qualifikationsstufen wären.
Für ein selbstbestimmtes Leben bleibt BILDUNG der beste Baustein.
Wir wollen Menschen jeden Alters und jedes Bildungsgrades neue Perspektiven und echte Chancen eröffnen.
Nur so kann ein jeder seinen Platz in unserer schnelllebigen Gesellschaft finden.
Wir, die PFF, bleiben dran.
Meine Fragen nun an Sie, werter Herr Minister:
1. Wurden bereits Überlegungen angestellt, die Landwirtschaft im Bereich der Industrielehre aktiven Sektoren aufzunehmen?
2. Wenn ja, wie sehen diese Überlegungen aus?
3. Wurden bereits Gespräche mit dem IAWM geführt, um auszuloten, inwiefern die Industrielehre vor dem Hintergrund der geringen Teilnehmerzahlen optimiert und aufgewertet werden kann? Wie sieht der aktuelle Stand der Dinge bezüglich der Neuorientierung der Industrielehre aus?
4. Welche Zielgruppe soll die Industrielehre zukünftig ansprechen?
5. Ab dem 01. Januar 2018 ist das Arbeitsamt für die Auszahlung der LBA-Schecks zuständig. Für Arbeitslose, die zusätzlich einer bezahlten Beschäftigung nachgehen möchten, besteht die Möglichkeit, über das LBA-System beschäftigt zu werden. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe haben im vergangenen Jahr auf diese Möglichkeit zurückgegriffen und eine helfende Hand für ihren Betrieb über das LBA-System gefunden?
6. Im Bereich der Berufsberatung ist dem Arbeitsamt eine koordinierende Rolle in der DG zugewiesen worden und es hat im Laufe der Zeit eine enge Kooperation mit dem Dienst KALEIDO, den Schulen, den Schulträgern, dem Institut für Aus- und Weiterbildung im Mittelstand und kleinen und mittleren Unternehmen (IAWM) und dem Unterrichtsministerium der DG aufgebaut. Z.B. wurde ausgehend vom gemeinsam erarbeiteten „Leitfaden zur Berufswahlvorbereitung von Schülern und Lehrlingen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens“ der Rahmenplan „Schulische Berufswahlvorbereitung und Berufsorientierung“ für die Primar- und Sekundarschule erstellt und dessen Implementierung vorbereitet und begleitet. Darüber hinaus ist das Arbeitsamt im Studienkreis „Schule und Wirtschaft“ aktiv. 4 Welche Erfahrungswerte konnte das ADG im Bereich der Vermittlung von Arbeitssuchenden im Rahmen der Industrielehre in der Vergangenheit, als die Industrielehre noch von der föderalen Ebene organisiert wurde, sammeln?
7. Mit welchen Sektoren arbeitete das Arbeitsamt im Rahmen der Industrielehre damals bereits zusammen? Mit anderen Worten: in welchen Sektoren wurden Industrielehrlinge vom Arbeitsamt vermittelt?
8. Wird eine Zusammenarbeit mit benachbarten Regionen wie Deutschland, Luxemburg oder Holland in Betracht gezogen, um Partnerschaften aufzubauen und gegenseitige Anerkennungen im Bereich der Industrielehre zu erlauben, und dementsprechend die Berufsperspektiven der Industrielehrlinge zu verbessern?
Antwort des Ministers
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Die Landwirtschaft ist ein Aushängeschild für die regionale Produktion von Lebensmitteln in Ostbelgien und zudem für den Erhalt der Kulturlandschaft für künftige Generationen von hoher Bedeutung.
Die Berufsausbildung, also die Grundausbildung und die Weiterbildung der Landwirte, gehört zu den inzwischen zahlreichen Zuständigkeiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Es gibt – wie in vielen anderen Regionen Europas – auch in Ostbelgien immer weniger Landwirte.
Für die verbleibenden Vertreter dieses Berufsstandes wachsen die Herausforderungen, um bei immer mehr Technologie und auf einem immer freieren Markt weiter mithalten zu können.
Die Landwirte investieren daher nicht nur in Geräte und Technologie sondern auch in Qualifikation und Weiterbildung.
Auf Grundlage des Artikels 4 Nummer 17 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, abgeändert durch das Sondergesetz vom 6. Januar 2014, ist die Deutschsprachige Gemeinschaft für die Industrielehre zuständig.
Die Industrielehre bietet, ergänzend zur mittelständischen Lehre, eine duale Ausbildung, die jedoch nur in Berufen ausbildet, die nicht zur Selbständigkeit führen.
In der Regel wird die Industrielehre in Berufen in der Produktion angeboten.
Die jeweiligen Sektoren spielen dabei eine zentrale Rolle: sie übernehmen die administrative Abwicklung der Industrielehre.
So wird garantiert, dass Jugendliche für die vom Sektor benötigten Berufe ausgebildet werden.
Die Ausbildung des Jugendlichen erfolgt, ähnlich wie bei der dualen mittelständischen Ausbildung, teils im Betrieb und teils in der überbetrieblichen Ausbildung.
Aktuell gibt es in Belgien lediglich 21 Berufssektoren, die eine Industrielehre anbieten. Dabei bezahlt das Unternehmen dem Auszubildenden je nach Alter einen monatlichen Lohn zwischen 510 und 790 Euro.
Darüber hinaus gibt es teilweise von verschiedenen Sektoren noch Prämien nach Abschluss des Ausbildungsvertrags.
Mit Übernahme der Zuständigkeit hat sich die Deutschsprachige Gemeinschaft bemüht, die Industrielehre in der bisherigen Form anzubieten, und dies für die Sektoren, in denen bereits Industrielehrverträge auf dem Territorium der Deutschsprachigen Gemeinschaft abgeschlossen wurden.
Die Industrielehre bezieht sich auf die Lehrlingsausbildung in Berufen, die von Lohnempfängern, mit Ausnahme der Hausangestellten, ausgeübt werden (Artikel 1 des Gesetzes über die Industrielehre vom 19. Juli 1983 zuletzt abgeändert durch Dekret vom 20. Juni 2016).
Der Industrielehrvertrag ist demzufolge ein Ausbildungsvertrag und kein Beschäftigungsvertrag.
Derzeit bestehen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Kooperationsabkommen mit dem Nahrungsmittelsektor und dem Metallsektor.
Das bedeutet konkret, dass bisher in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Industrielehrverträge für folgende Berufe abgeschlossen wurden:
beim Teilzeitunterrichtszentrum in St. Vith für die Berufe Entknocher und Zerleger, Produktionsarbeiter im Bäcker- und Konditorbereich sowie industrieller Mechaniker. Mit dem Metallsektor IFPM gibt es seit Jahren keinen Industrielehrvertrag mehr. Der Grund hierfür ist einfach.
Die mittelständische Ausbildung ist in diesem Sektor ein sehr erfolgreiches bewährtes Ausbildungsmodell.
Außerdem sind die Kosten für die Betriebe wesentlich höher im Rahmen der Industrielehre, weshalb man sie in diesem Bereich nicht mehr anbietet.
Die Industrielehre im Baufach in Zusammenarbeit mit dem Bausektor (RAC – Régime Apprentissage Construction) wird auf Entscheidung des Bausektors ebenfalls seit 2017 nicht mehr angeboten.
Zuvor konnten Maurer, Betonbauer, Straßenbauer, Verputzer und Fliesenleger anhand eines individuellen Qualitätsplanes und in einer Dauer von 6 bis 18 Monate eine Industrielehre absolvieren.
Die Industrielehre des Bausektors war nur für Personen ohne Qualifikation zugänglich und wurde mit einem Lehrgehalt sowie einer Prämie des Bausektors vergütet.
Das Arbeitsamt hat in den letzten Jahren pro Jahr im Schnitt acht Verträge begleitet, die überwiegend in eine Beschäftigung führten, wenn auch nicht immer im Baufach und oftmals in Deutschland oder Luxembourg.
Ende letzten Jahres wurde seitens des Fachbereichs Beschäftigung die Zusammenarbeit mit den Sektorenfonds und insbesondere mit Contructiv breit diskutiert, um ein Rahmenabkommen zwischen Regierung und Constructiv vorzubereiten.
Eine Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse mit den Nachbarländern Deutschland, Niederlande und Luxemburg besteht schon seit geraumer Zeit. Da die Industrielehre jedoch nicht zu einem anerkannten Berufsabschluss führt, ist eine Anerkennung der Kompetenzen eher über die Anerkennung nicht-formal erworbene Kompetenzen denkbar.
Die Resonanz auf die Industrielehre ist trotz des Potenzials dieser flexiblen Ausbildungsform sehr gering.
Zur Zeit wird am Technischen Institut St. Vith ein einziger Industrielehrvertrag in einem fleischverarbeitenden Unternehmen betreut.
Bei einem Treffen zwischen IAWM, WSR, TI und dem Nahrungsmittelsektor ALIMENTO am 12. Dezember 2018 wurden Möglichkeiten ausgetauscht, die Industrielehre im Bereich Nahrungsmittelsektor attraktiver zu machen.
Leider gibt es immer weniger Jugendliche, die sich für eine Industrielehre interessieren und gleichzeitig in der Lage sind, die Erwartungen des Unternehmens, z.B. was die Produktivität anbelangt, auch zu erfüllen.
Eine weitere Facharbeitsgruppe bestehend aus Arbeitsamt, Fachbereich Beschäftigung, Fachbereich Unterrichtsorganisation und IAWM sowie weiteren Partnern befasst sich im Rahmen des Fachkräftebündnisses zur Zeit mit der Frage der Teilqualifizierung.
Die Überlegungen dazu stecken noch in den Kinderschuhen, aber ich bin sicher, dass darin enorme Chancen für die Beschäftigung von Geringqualifizierten liegen.
Die Zielgruppe des Industrielehrvertrags ist gesetzlich geregelt.
Der Ausbildungsvertrag richtet sich in der Regel an Jugendliche, die nicht mehr der Vollzeitschulpflicht unterliegen, sondern nur noch der Teilzeitschulpflicht.
Ausnahmen sind zwar möglich, aber für Quereinsteiger oder für Menschen, die sich weiterbilden möchten, ist die Industrielehre nicht das optimale Instrument.
Flexible Unterstützung für Landwirte kann auch über sogenannte „saisonbedingte und gelegentliche Tätigkeit im Sektor der Landwirtschaft und des Gartenbaus“ gewährt werden.
Neben entschädigten Vollarbeitslosen (die eine gewisse Mindestdauer der Arbeitslosigkeit aufweisen müssen) kommen übrigens auch Empfänger des Eingliederungseinkommens und Empfänger der finanziellen Sozialhilfe des ÖSHZ für diese Tätigkeiten in Frage.
In der Deutschsprachigen Gemeinschaft verfügen zurzeit zwei LBA-Nutznießer über eine Genehmigung für die Tätigkeit „saisonbedingte und gelegentliche Tätigkeiten im Sektor der Landwirtschaft und des Gartenbaus“.
Ein Nutznießer hat seinen Betriebssitz im Süden der DG und hat in den vergangenen Jahren regelmäßig auf das LBA-System zurückgegriffen.
Die Anzahl LBA-Schecks, die in den letzten Jahren für diese Tätigkeit von der ausgebenden Gesellschaft (Edenred) erstattet wurden, sind rückläufig:
2015 – 240
2016 – 323
2017 – 185
2018 – 46
Zuletzt wurden im Februar 2018 diesbezügliche LBA-Schecks erstattet. Der Nutznießer hat seine Genehmigung anschließend verlängert, jedoch keine weiteren LBA-Schecks mehr genutzt.
Möglicherweise spielt das Wetter im Sommer 2018 hier eine Rolle.
Ein zweiter Nutznießer hat seinen Betriebssitz im Norden der DG. Er verfügt seit September 2018 über eine Genehmigung, hat bisher jedoch noch keine LBA-Schecks genutzt.
Weitere Nutznießer hat es im Zeitraum 2015-2018 in der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Sektor der Landwirtschaft nicht gegeben.
Die Nutzung der LBA-Schecks für die Tätigkeit „saisonbedingte und gelegentliche Tätigkeiten im Sektor der Landwirtschaft und des Gartenbaus“ ist somit sehr gering.
Aus der Erfahrung des Arbeitsamtes in der Vermittlung von Arbeitssuchenden im Rahmen der Industrielehre im Baufach können folgende positive Aspekte in die grundsätzlichen Überlegungen mit einfließen:
• Die Industrielehre kann egal wann, an einem Arbeitstag, beginnen.
• Der praktische Charakter der Industrielehre: sowohl im Betrieb und wie auch im Berufsbildungszentrum des Arbeitsamtes.
• Die Flexibilität in der überbetrieblichen Ausbildung im Berufsbildungszentrum des Arbeitsamtes: die Lerninhalte können maßgeschneidert für den Betrieb und den Industrielehrling angepasst werden.
• Der Ausbildungsrahmen ist vorgegeben.
• Die Eigenverantwortung der Industrielehrlinge wird von Beginn der Industrielehre bis zum Ende sowohl vom Betrieb wie auch vom Berufsbildungszentrum des Arbeitsamtes oder vom TZU abverlangt und eingefordert.
• Hervorragende Ausbildungsmöglichkeit für alle, die keinen formalen Abschluss erreicht haben, und manchmal auch letzte Chance einer seriösen qualifizierenden Ausbildung.
• Während der Lehrzeit haben die Industrielehrlinge ein geregeltes Einkommen.
• Einige, die in der mittelständischen Ausbildung gescheitert sind, konnten erfolgreich ausgebildet und in den Beruf integriert werden.
• Im Baufach haben einige Absolventen danach auch erfolgreich die Meisterkurse belegt und abgeschlossen.
Als Schwächen der Industrielehre im Baufach hat das Arbeitsamt u.a. folgende Aspekte ausgemacht:
• Kein anerkannter Abschluss: Die Industrielehrlinge, die erfolgreich die RAC-Ausbildung abgeschlossen haben, müssen noch eine Aufnahmeprüfung am ZAWM ablegen, bevor sie sich zu den Meisterkursen einschreiben können.
• Mangels geeigneter Kandidaten blieben manchmal Stellen unbesetzt.
• Einige Anfragen betreffen Berufe, die das Berufsbildungszentrum des Arbeitsamtes nicht anbieten kann.
Die Industrielehre in der Landwirtschaft wäre also nur eine Möglichkeit der Nachwuchssicherung.
Unterschiedliche Qualifikationsstufen und Ausbildungsmöglichkeiten stehen in Ostbelgien bereits heute zur Auswahl.
Für Natur- und Tierliebhaber gibt es bereits eine ganze Reihe von Ausbildungsangeboten mit Frischluftzufuhr und Umgang mit Tieren, Garten, Wald und Landwirtschaft:
1) Im technischen Befähigungsunterricht am Technischen Institut St. Vith : die Studienrichtung Agronomie ab dem 3. Jahr.
2) Im berufsbildenden Unterricht am Technischen Institut St. Vith: die Studienrichtung Agronomie: Landwirtschaft ab dem 3. Jahr – in diesem Schuljahr sind 20 Schülerinnen und Schüler in dieser Abteilung eingeschrieben.
3) Im berufsbildenden Förderunterricht am Zentrum für Förderpädagogik Eupen: die Studienrichtung Gartenbau (1. bis 5. Jahr).
4) Im Bereich der mittelständischen Lehrlingsausbildungen:
– Hufschmied/in (ZAWM Eupen)
– Hundetrimmer/in (Fachkunde wird außerhalb der DG erteilt)
– Pferdezüchter/in (ZAWM Eupen)
– Reithallenbetreiber/in (ZAWM Eupen)
– Baum- und Pflanzenzüchter/in (ZAWM Eupen)
– Florist/in (ZAWM Eupen)
– Forstwirt/in (ZAWM St. Vith)
– Gartenbau (ZAWM Eupen)
– Gartengestalter/in (ZAWM Eupen)
– Gärtner/in (ZAWM Eupen) und
– Traktoren, Land- und Gartenmaschinenmechaniker/in (ZAWM St. Vith)
Anerkannte Zentren der landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildungen (z.B. LZS, VAL, FWA, Faunus, MIG) bieten berufliche Aus- und Weiterbildung in fünf Lehrstufen an (Artikel 3 des Dekrets vom 19. Februar 1988):
• Die Lehrstufe I beinhaltet die berufliche Ausbildung. Die Grundausbildung zum Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebs richtet sich an Personen, die nicht mehr schulpflichtig sind und in der Landwirtschaft arbeiten Seite
(Landwirte, helfende Familienmitglieder, Arbeitnehmer). Die Grundausbildung läuft berufsbegleitend über drei Jahre. Sie umfasst 240 Stunden theoretischen Unterricht und 360 Stunden Praktikum in einem anerkannten landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb. Sie endet mit einer Abschlussprüfung. Das Angebot richtet sich dabei ausschließlich an Personen, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen.
• Die Lehrstufe II beinhaltet Lehrgänge, die darauf abzielen, periodisch spezifische Kenntnisse oder eine vertiefte Zusatzausbildung auf dem Gebiet der Technologie und der Führung von Betrieben zu vermitteln.
• Die Lehrstufe III beinhaltet eine ständige Weiterbildung im landwirtschaftlichen Bereich, u.a. durch Studientage, Studienversammlungen, Studienreisen, geführte Besichtigungen und Kontakttage.
• Die Lehrstufe IV beinhaltet die Ausbildung von Personal, das in der landwirtschaftlichen Aus – und Weiterbildung tätig ist, und zwar u.a. anhand von Aufbauseminaren.
• Die Lehrstufe V beinhaltet die Praktika in landwirtschaftlichen Betrieben oder Institutionen.
Für Landwirte, die Praktikanten im Rahmen der Grundausbildung in ihren Betrieb aufnehmen, wird eine besondere Schulung zum Landwirt-Praktikantenausbilder angeboten.
Wer einen landwirtschaftlichen Betrieb führt, muss sich großen technischen, betriebswirtschaftlichen und persönlichen Herausforderungen stellen.
Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen Schulungen, die gezielt auf die Bedürfnisse im landwirtschaftlichen Betrieb eingehen.
Im Schuljahr 2014-2015 bspw. nahmen insgesamt 2.047 Teilnehmer an verschiedenen Schulungen an anerkannten landwirtschaftlichen Schulungszentren teil.
Die Aus- und Weiterbildungsangebote der Zentren werden im Haushalt des IAWM jährlich mit 60.000 Euro bedacht.
Bei diesen bereits bestehenden Angeboten handelt es sich um fundierte und anerkannte Ausbildungen.
Bevor eine Industrielehre für die Landwirtschaft angeboten wird, bleiben zahlreiche offene Fragen zu klären.
Die Anforderungen an Ausbildungsbetriebe sind klar geregelt.
Auch landwirtschaftliche Ausbildungsbetriebe müssten vom IAWM anerkannt werden und der Betriebsleiter über eine sechs bzw. (ohne Grundausbildung) eine neunjährige Berufserfahrung nachweisen sowie eine pädagogische Fortbildung absolvieren.
Auch muss sorgfältig geprüft werden, ob durch ein neues Ausbildungsangebot dem Bedarf des Sektors tatsächlich entsprochen wird und keine Dopplungen entstehen.
Braucht es Angebote für Quereinsteiger?
Muss die Grundausbildung ausgebaut werden oder das Interesse junger Menschen am Beruf des Landwirts erhöht werden?
Bisher haben sehr wenig Betriebe Arbeiter im Lohnverhältnis.
Wo fänden die Industrielehrlinge nach ihrer Ausbildung einen Arbeitsplatz?
Wie würden Industrielehrlinge in der Landwirtschaft entlohnt?
Die Steigerung der Attraktivität der verschiedenen dualen Ausbildungen und die Mindestentlohnung der Lehrlinge und Industrielehrlinge muss im Gesamtkontext diskutiert werden.
Im Rahmen unserer Bemühungen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels wird die Frage der Mindestentschädigung der Lehrlinge beispielsweise sehr kontrovers diskutiert.
In der Vergangenheit hat es bereits Projekte im Bereich der Landwirtschaft gegeben, die dazu führten, Drittstaatsangehörige unter prekären Sozialstatuten in Belgien und in der DG zu beschäftigen.
Jegliche Ausdehnung darf nicht dazu führen, dass aus Drittländern billige Arbeitskräfte importiert werden, bei denen nicht die Ausbildung Ziel der Präsenz ist, sondern die Einstellung von Erwerbstätigen mit geminderten Sozialabgaben und erhöhten Arbeitsansprüchen, beispielsweise, was die Arbeitszeiten angeht.
Nicht erst „bald“ sondern schon „jetzt“ sind die Ausbildungsanbieter im Austausch darüber, wie die Industrielehre und die mittelständische Ausbildung besser aufeinander abgestimmt werden können, damit jedem Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive geboten werden kann, die beste Aussichten auf eine Beschäftigung in den ostbelgischen Betrieben eröffnet.
Das Image der dualen Ausbildung – ob im Mittelstand oder in der Industrie – ist vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels fundamental.
Das IAWM hat zum Beispiel dieses Jahr eine Kooperation mit dem „Grünen Kreis“ aufgebaut und wird erstmals auch landwirtschaftliche Betriebe mit in die Schnupperwochen aufnehmen.
Wohlwissend, dass es in diesem Bereich keine duale Ausbildung gibt, geht es ähnlich wie bei den Pflegeberufen darum, das Spektrum von vorgestellten Berufen zu erweitern und somit auch das Berufsbild des Landwirts bekannter zu machen.
Die Frage nach einer Industrielehre in der Landwirtschaft ist also recht komplex und bedarf einer besonnenen Antwort.
Dazu suchen wir, aufbauend auf den Kontakten die über das IAWM bestehen, das Gespräch mit den betroffenen Akteuren, d.h. mit den anerkannten landwirtschaftlichen Aus- und Weiterbildungszentren, dem IAWM, dem TI und dem freien Schulträger sowie mit dem WSR.Die Möglichkeit einer Industrielehre im Bereich der Landwirtschaft muss ausführlich und ergebnisoffen mit dem Sektor und den Berufsverbänden diskutiert werden, um den Bedarf zu ermitteln, die Anforderungen zu definieren und schließlich den besten Lösungsansatz zu finden.
Genau das wollen wir tun.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.