Sitzungsperiode 2018-2019
Sitzung des Ausschusses III vom 8. November 2018
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Sehr geehrter Herr Minister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
„Non vitae, sed scholae discimus“ – „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“.
Latein wird zwar als „tote“ Sprache angesehen, lateinische Weisheiten leben aber über Jahrhunderte weiter. So auch dieses berühmte, wenn auch ironische Zitat vom römischen Philosophen Seneca, der seinerzeit Kritik an den Philosophenschulen im alten Rom übte.
Lernen für die Schule oder für das Leben? Auch heute, 2000 Jahre später, bleibt diese Frage brandaktuell und richtet den Fokus auf den Lehrstoff und das nötige Rüstzeug, welches unsere Schülerinnen und Schüler für das spätere Leben brauchen.
Schule leistet gewiss – per definitionem – einen wichtigen, gar selbstverständlichen Bildungsauftrag. Fest steht aber: wir lernen nicht nur in der Schule. Nein, auch während unserer beruflichen Laufbahn, im Rahmen von Weiterbildungen, Freizeitbeschäftigungen und Hobbys, im Ehrenamt oder im Vereinsleben, sammeln wir wertvolle Erfahrungen und eignen uns Wissen außerhalb der klassischen Schule – ja sogenannte „informell“ und „nicht-formal“ erworbene Kompetenzen – an. Ein Know-How, welches leider oftmals nicht gesehen und unterschätzt wird, da es weder offiziell anerkannt, erfasst, dokumentiert noch zertifiziert wird.
Die Rufe nach einer Validierung des nicht-formalen und informellen Lernens wurden seitens der EU lauter und Mittel und Wege wurden von den Mitgliedsstaaten verlangt, um das Kompetenzprofil der EU-Bürger stärker zur Geltung zu bringen. Der Rat der Europäischen Union forderte in seiner Empfehlung vom 20. Dezember 2012 die Mitgliedstaaten dazu auf, bis 2018 Anerkennungssysteme für informell und nicht-formal erworbene Kompetenzen zu schaffen. Hier setzt das REK-Zukunftsprojekt „Kompetenzen anerkennen“ an. Ziel ist es, die Weichen für ein Anerkennungssystem auf dem Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft zu stellen.
Das führt uns direkt zu der Frage: Wem soll das Projekt nutzen?
Der/die Lernende und seine/ihre Leistungen stehen im Mittelpunkt. Oft wurde unser politisches Handeln von dem Gedanken begleitet, Lernende dort abzuholen, wo sie stehen, damit ein jeder bestmöglich seinen Beitrag zur Gesellschaft leistet, sich sinnvoll einbringen und sich persönlich entfalten kann. Ein Leitgedanke, der uns Liberalen besonders am Herzen liegt – stehen wir doch für eine gänzlich freie Entfaltung des Menschen ein.
Dem Lernen außerhalb formaler Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen einen angemessenen Stellenwert einzuräumen und Sichtbarkeit zu verleihen, ist ein Schritt im Sinne des Bürgers: er kann sich nicht nur darauf aufbauend weiterbilden, sondern bessert seinen Lebenslauf und somit seine Ausgangsposition auf dem Arbeitsmarkt auf.
Was will man mit der Anerkennung informell und nicht-formal erworbener Kompetenzen auf EU-Ebene erreichen?
Bei der Validierung geht es darum, die vielfältigen Lernerfahrungen von Einzelnen sichtbar zu machen. [1] . Daraus ergibt sich ein noch höherer Stellenwert für die Erwachsenenbildung und die berufliche Weiterbildung.
Zielgruppe der europäischen Initiative sind vor allen Dingen:
- Arbeitskräfte, die über keine bis geringe Qualifikationen verfügen, jedoch durch praktische Berufserfahrung bereits Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen besitzen. Niedrigqualifizierte dürfen nicht „auf der Strecke“ bleiben.
- Personen, denen ein Verlust ihrer Arbeitsstelle droht, und die durch die Validierung ihrer Kompetenzen direkt unterstützt werden können.
- Menschen, die sich beruflich umorientieren möchten oder müssen. Validierungsverfahren können die Türe zu neuen Ausbildungen und Berufen eröffnen und den Schritt in eine neue Karriere ermöglichen.
Männer und Frauen mit Migrationshintergrund, deren ausländisches Diplom in Belgien nicht anerkannt werden konnte. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen akademischen Qualifikationen gestaltet sich oftmals schwierig. Laut den gesammelten Erfahrungen aus Österreich kann man den sozialen wie auch den integrativen Aspekt des Projektes nicht hoch genug einschätzen. Denn in Österreich ist das Projekt mit Namen „Du kannst was!“ nebenbei auch zu einem Integrationsprojekt geworden und genießt einen „Best-Practice“-Status.
Auch im Bereich der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit kann die Anerkennung nicht-formaler und informeller Kompetenzen sich bezahlt machen. Denn Jugendarbeitslosigkeit ist auch in der DG ein Thema und das Entgegenwirken von großer Wichtigkeit.
Meine Damen und Herren,
Kompetenzorientierung statt Defizitorientierung gibt also den Ton in einem kollektiven Vorhaben an. Hinter dem Nachweis der Lernerfahrungen, die im Rahmen des weiteren Bildungswegs oder auf dem Arbeitsmarkt genutzt werden können, steckt also ein starker Gedanke.
Unsere Gesellschaft durchlebte in den letzten Jahrzehnten grundlegende Veränderungen und befindet sich in einem Strudel des Wandels – sei es in sozialer, politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht. Schlagworte wie demografischer Wandel, verlängerte Lebensarbeitszeit oder Fachkräftemangel stellen unsere Welt im Allgemeinen, unser Ostbelgien im Besonderen, vor enormen Herausforderungen.
Vor diesem Hintergrund kommt dem berüchtigten lebenslangen Lernen eine bedeutende Rolle zu, ist es doch der Schlüssel zur persönlichen Weiterentwicklung eines Jeden.
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“
Oder doch? Ist dieses Sprichwort im 21. Jahrhundert noch angebracht?
Der Zugang zu Wissen war noch nie so einfach wie in der heutigen Welt. Jeder neue Tag ermöglicht es uns, neugierig zu bleiben, Neues zu erlernen und zu erproben, und das eigene Leben zu bereichern. Sei es durch gesammelte Erfahrungen oder durch das Schließen von Wissenslücken.
Wenn wir dem Wandel unserer Welt, der rasanten Entwicklung der Branchen und der Arbeitsmärkte, und dem ständig ändernden sozialen und technologischen Umfeld Schritt halten wollen, dann führt kein Weg am lebenslangen Lernen vorbei.
Wo stehe ich? Wohin gehe ich?
Eine Bildungsregion wie Ostbelgien muss die Bereitschaft zum bildungspolitischen Konzept des lebenslangen Lernens aufweisen – und das tut sie! Laut REK will die Regierung das „Lebenslange Lernen und Qualifizieren“ nicht nur als gesellschaftliches Ziel, sondern auch als Herausforderung unserer Unternehmen und ihrer Mitarbeiter sehen und durch entsprechende Angebote fördern.
Doch wie verlief der Weg durch das ostbelgische Projekt? Für welche Vorgehensweise hat man sich hierzulande entschieden, um ein auf die DG zugeschnittenes Konzept auf die Beine zu stellen?
Eine Bestandsanalyse der bestehenden Anerkennungsansätze von formal, nichtformal und informell erworbenen Kompetenzen in der DG wurde für den Zeitraum 2015-2016 erstellt.
Welches Fazit konnte aus der Bestandsanalyse gezogen werden?
In Ostbelgien gibt es bereits Anerkennungsansätze von nicht formal und informell erworbenen Kompetenzen – vor allem in der mittelständischen Ausbildung. Die Analyse macht aber auch deutlich dass es noch an Standardisierung, Systematisierung und Transparenz fehlt.
Erwähnenswert ist ebenfalls, dass 2016 eine Umfrage bei Unternehmen[2] der DG zum Qualifizierungs- und Arbeitskräftebedarf durchgeführt wurde. Aus der Umfrage, an der 14 Unternehmen und 3 Innungen teilnahmen, ging hervor, dass ein hoher Prozentsatz an geringqualifizierten Arbeitskräften in der DG einer Beschäftigung nachgeht.
Neben den Unternehmen gaben auch die Innungen (5 von 7) die Berufserfahrung als erstes Auswahlkriterium bei der Einstellung von Arbeitskräften an. Eine Überprüfung von Fähigkeiten durch eine externe Fachjury wurde von den meisten Teilnehmern als nicht notwendig erachtet, genüge doch die Einschätzung eines vorherigen Unternehmens.
Alle waren sich jedoch darüber einig, dass ein hoher Bedarf an Fachkräften besteht.
Vor rund 2 Jahren, genauer gesagt am 21. Oktober 2016, fand dann eine Auftaktveranstaltung zum Zukunftsprojekt statt. 60 Vertreter/innen aus der ostbelgischen Bildungslandschaft, aber auch Gewerkschaften und Arbeitgeber nahmen an der Veranstaltung teil. Bestehende Anerkennungsansätze von bereits erworbenen Kompetenzen in Ostbelgien, aber auch verschiedene Anerkennungssysteme im In- und Ausland wurden beleuchtet, um der Diskussion zwischen den ostbelgischen Schlüsselakteuren den entscheidenden Anstoß zu geben.
Nachfolgend wurde eine Steuergruppe aus 21 Vertretern der ostbelgischen Bildungs- und Arbeitswelt ins Leben gerufen, mit dem Ziel, über einen partizipativen Prozess, die Weichen für ein Anerkennungssystem in Ostbelgien zu stellen.
Wie sieht nun der aktuelle Stand der Dinge aus?
Im REK-Fortschrittsbericht, der im September diesen Jahres zusammen mit der Regierungserklärung verteilt wurde, stand geschrieben, dass:
- der Arbeitsschritt „Erstellung eines ESF-Antrags“ fristgemäß abgeschlossen wurde.
- der Arbeitsschritt „Schulung der Bewerter“ gelöscht wurde, da auf bestehende Prüfer des ZAWM zurückgegriffen werden kann.
- die Frist für die Arbeitsschritte „Erstellung eines Selbsteinschätzungsbogens“ und „Konkretisierung des Prüfungsablaufs nun vom 2. Halbjahr 2018 bis zum 1. Halbjahr 2019 laufen.
- die beiden Arbeitsschritte „Sensibilisierungsmaßnahmen“ nun im 2. Halbjahr 2018 und „Auswertung und Empfehlungen“ vom 1. Halbjahr 2020 bis zum 1. Halbjahr 2021 vorgesehen sind.
Um die Vergleichbarkeit der Qualifikation der Deutschsprachigen Gemeinschaft auf europäischer Ebene gewährleisten zu können, wurde ein neuer Arbeitsschritt mit der Bezeichnung „Verknüpfung des Qualifikationsrahmens der Deutschsprachigen Gemeinschaft mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen“ (Frist: 1. Halbjahr 2020 bis 2. Halbjahr 2020) ausgearbeitet.
Die Zeit des Trockenschwimmens ist damit vorbei.
Von Juli 2018 bis Dezember 2020 soll nun die Umsetzung des ESF-Projektes „Zukunftswege gestalten“ erfolgen, welches 3 Angebote umfasst:
- Weiterbildungsberatung
- ProfilPASS-Workshops, in denen in Form von dynamischen Gruppenkursen persönliche Kompetenzprofile erstellt werden sowie individuelle Beratungen auf Termin.
- Zertifizierung, die für mehr als 45 Berufe gilt. Im ZAWM werden die beruflichen Kompetenzen fachlich überprüft.
Meine Fragen nun an Sie, werter Herr Minister:
- Seitdem 1992 ein eigenes Programm für die Deutschsprachige Gemeinschaft geschaffen wurde, profitieren jährlich etwa 2.000 Menschen direkt oder indirekt von den Angeboten, die der ESF (ko)finanziert. Der ESF fördert die Personalkosten sowie eine Pauschale zum Funktionieren der Projekte. Dabei übernehmen in der Regel die Union und die DG jeweils 50% der Kosten. Wie sieht die Basisfinanzierung des Projektes „Kompetenzen anerkennen“ aus? In welchem Kostenrahmen bewegen wir uns hier?
- Inwiefern werden die Finanzierung und der rechtliche Rahmen für das Projekt gesichert?
- ESF-Projekte dauern in der Regel 36 Monate. Ist dies auch hier der Fall?
- Die Weiterbildungsberatung und die Zertifizierung sind kostenlos. Wie wird dies finanziert? Wie wurden die professionellen Weiterbildungsberater/innen ausgebildet?
- Die Profilpass-Workshops laufen im ersten Halbjahr 2019 jeweils in Eupen und in Sankt Vith an. Für Arbeitnehmer und Selbstständige kostet die Teilnahme 50 €, Sozialhilfeempfänger bezahlen gar nichts und Arbeitsuchende können eine Ausbildungsprämie beim Arbeitsamt der Deutschsprachigen Gemeinschaft beantragen.
- Wie ist der Profilpass aufgebaut?
- Wie sieht das Ergebnis aus?
- Wie lange dauert die Bearbeitung?
- Welche Kompetenzen werden erfasst?
- Wer ermittelt die Kompetenzen? Wer schätzt ab, wie ausgeprägt sie sind?
- Wie werden Studienabbrecher derzeit in der DG aufgefangen, um diese in der Region zu halten und Fachkräfte zu sichern? Ein Blick über den Tellerrand genügt, wo doch im Aachener Raum mehr als 350 Studienabbrecher in über 80 Unternehmen über das beispielhafte Projekt SWITCH vermittelt wurden (Stand: September 2017). Wir sehen in dem Zukunftsprojekt „Zukunftswege gestalten“ enorme Chancen, damit Studienabbrecher nicht bei null anfangen müssen und ihre Vorkenntnisse sowie erworbenen Kompetenzen mit Umweg zum Erfolg führen können.
- Gibt es eine Verbindung zum Europass? Der Europass strukturiert Bewerbungsunterlagen, um erworbene Qualifikationen und Kompetenzen europaweit transparent, verständlich, übersichtlich und einheitlich darzustellen. [3]
- Welche Gesamtphilosophie verfolgt die DG mit ihrem Anerkennungssystem?
- Inwiefern wurde die Kleinheit der DG berücksichtigt und Kooperationen mit Nachbarregionen in Betracht gezogen?
- Wie wurden die Qualitätskriterien erarbeitet?
- Inwiefern fließt die Kompetenzermittlung und die Validierung im Fachkräftemonitoring mit ein?
[1] Europäische Leitlinien für die Validierung nicht formalen und informellen Lernens, CEDEFOP, 2016, S.15.
[2] 35 befragte Unternehmen aus der DG (> 50 Mitarbeiter) (Quelle: IHK Eupen-Mdy-St.-Vith), 8 Innungen (Quelle: Mittelstandsvereinigung der DG).
[3] „Was ist der Europass?“, URL: < http://www.jugendbuero.be/unsere-programme/europass/was-ist-der-europass/ > (abgerufen am 18.10.2018, 14:54 Uhr).
Antwort des Ministers
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, Werte Kolleginnen und Kollegen,
die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die gesellschaftlichen Veränderungen sind enorm.
In Anbetracht des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels müssen das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt zunehmend auch für Menschen mit atypischen Bildungs- und Berufsverläufen zugänglich gemacht werden.
Das können z.B. Menschen mit ausländischen Abschlüssen sein oder solche, die zwar einen Berufsabschluss haben, aber in der Praxis einer ganz anderen Tätigkeit nachgegangen sind.
Die Frage, wie beruflich relevantes Erfahrungswissen besser erfasst und sichtbar gemacht werden kann, wird immer wichtiger.
Mit dem Pilotprojekt „Zukunftswege gestalten“ setzt die Deutschsprachige Gemeinschaft die Empfehlung des Rates der Europäischen Union zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens vom 20.12.2012 um.
Validierungsverfahren können ein großes Kompetenzpotenzial erschließen und zudem die Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter senken.
Dabei ist hervorzuheben, dass „formal geringqualifiziert“ nicht bedeutet, dass keine beruflich relevanten Kompetenzen vorliegen.
Oft gilt das Gegenteil: Ein Studienabbrecher, der seit Jahren IT-Systeme konfiguriert, ein syrischer Handwerker, der nach der Flucht keine Papiere vorweisen kann, eine Witwe, die jahrelang Pflegeerfahrung im familiären Umfeld gesammelt hat, sie alle sind beruflich kompetent, aber formal geringqualifiziert.
Es fehlt an Möglichkeiten, die nicht durch Abschlüsse und Zertifikate belegten Kompetenzen verwertbar zu machen.
Auch in Ostbelgien möchten wir das Validierungssystem nutzen, um die sogenannte „stille Reserve“ zu aktivieren.
Es soll das Kompetenzbewusstsein von Formalgeringqualifizierten stärken, sie zum Weiterlernen animieren und Arbeitgebern die Möglichkeit geben, sich ein objektives Bild über die Kompetenzen und Fähigkeiten von Bewerbern zu machen.
Aufgrund seiner Beschäftigungsrelevanz, wird das Projekt „Zukunftswege gestalten“ seit dem 1. Juli 2018 über eine Gesamtlaufzeit von zweieinhalb Jahren über den Europäischen Sozialfonds gefördert.
Der EU-Zuschuss beläuft sich auf 191.061,51 Euro und entspricht einer Kofinanzierung von 50%.
Finanziell abgesichert wird das Projekt zudem über einen Zuschuss der Deutschsprachigen Gemeinschaft in gleicher Höhe (191.061,51 Euro) sowie zu geringen Teilen über Einnahmen aus Teilnehmerbeiträgen (1.450 Euro).
Das Gesamtbudget des Projekts beträgt also 383.573,02 Euro und beinhaltet die Personalkosten des Ministeriums für die Beratung und Projektverwaltung sowie Kosten für die Sensibilisierung und Information, die über eine Kostenpauschale in Höhe von 30% der Personalkosten abgedeckt werden.
Der rechtliche Rahmen des Projekts „Zukunftswege gestalten“ ist mit der Konvention über die finanzielle Förderung des Projektes Nr. 30 „Zukunftswege gestalten“ durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens vom 14. September 2018 abgesichert.
Als REK-Projekt „Kompetenzen anerkennen“ ist es Teil der Strategie der Regierung, das lebenslange Lernen zu fördern.
Die im Rahmen des Projektes eingeführte „Kompetenzbescheinigung“ ist im Bewertungserlass des IAWM (Erlass der Regierung über die Prüfungen und die Bewertung in der Grundausbildung des Mittelstandes vom 30. August 2018) verankert.
In dieser EU-finanzierten Pilotphase wird sich das Validierungsverfahren auf die Anerkennung von beruflichen Kompetenzen im Bereich der Ausbildungsberufe beschränken, die in der Deutschsprachigen Gemeinschaft angeboten werden.
Zum einen, weil es im Mittelstand bereits Validierungsansätze gibt, die im Rahmen der Projektlaufzeit ausgebaut, systematisiert und standardisiert werden.
Zum anderen, weil der Bedarf an Fachkräften in zahlreichen Handwerksberufen groß ist.
Um dieses komplexe Thema zu umreißen ist es hilfreich, sich die vier Schritte des Validierungsverfahrens in Erinnerung zu rufen:
- Identifizierung,
- Dokumentierung,
- Bewertung,
- Zertifizierung der informell erworbenen Kompetenzen.
Bevor ich näher auf die mit den einzelnen Etappen verbundenen Dienstleistungen eingehe, wird es ein wenig technisch, denn bei der Konzeption der Validierung ist die Unterscheidung zwischen formativen und summativen Ansätzen von Bedeutung.
Der formative Bewertungsansatz setzt den Schwerpunkt auf die Ermittlung von Kenntnissen, Fertigkeiten und breiteren Kompetenzen, die ein wesentlicher Teil des lebenslangen Lernens sind.
Die formative Validierung wird in unserem System durch die ProfilPASS-Workshops abgedeckt.
Die Orientierung, Beratung und die allgemeine Kompetenzbilanzierung wird durch das Ministerium gewährleistet.
Zielpublikum dieser allgemeinen Kompetenzbilanzierungen in Ostbelgien sind Arbeitsuchende, ausländische Mitbürger/innen, deren ausländisches Diplom in Belgien nicht anerkannt werden konnte, Wiedereinsteiger/innen sowie Umschuler/innen, die noch keine Klarheit über ihre berufliche Zukunft haben.
Die summative Validierung oder berufsbezogene Kompetenzbilanzierung richtet sich an Menschen, die bereits Klarheit über ihre berufliche Zukunft haben, bereits Kompetenzen in einem bestimmten Berufsfeld besitzen, und diese gerne anerkennen lassen möchten, um darauf aufbauend weiterlernen zu können oder um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten.
Die berufsbezogene Kompetenzbilanzierung erfordert eine klar definierte, eindeutige Bezugnahme auf die in den nationalen Qualifikationsrahmen verwendeten Standards.
Für die ersten beiden Etappen und die unterstützende Begleitung ist das Ministerium zuständig.
Die Bewertung der Lernergebnisse findet in den ZAWM statt.
Die Etappe der Zertifizierung besteht in der Aushändigung einer sogenannten „Kompetenzbescheinigung“ durch ZAWM, IAWM und Regierung.
Im Rahmen der summativen Validierung fungiert das Ministerium außerdem als „Filter“. Mittels eines noch zu erstellenden Selbsteinschätzungsbogens wird eingeschätzt, ob der Validierungskandidat tatsächlich wesentliche Kompetenzen in einem bestimmten Ausbildungsberuf mitbringt.
Ist dies der Fall, wird er zur praktischen Abschlussprüfung der Lehre, der sogenannten „C- Prüfung“, zugelassen und hat dort die Möglichkeit, seine praktischen Fertigkeiten unter Beweis zu stellen.
Für die nachgewiesenen Kompetenzen erhält der Kandidat eine Kompetenzbescheinigung, die ihm Dispensen im Falle einer Lehre bringen kann und seine praktischen Fertigkeiten transparent für den Arbeitsmarkt macht.
Der Weiterbildungsberatung im Ministerium kommt als Erstkontaktstelle eine wichtige Rolle zu.
Hier treffen die Anfragen ein und die Weiterbildungsberater orientieren die Ratsuchenden zu der passenden Dienstleistung:
Geht es um die Klärung einer konkreten Sachfrage, z.B.: Welche Einrichtungen bieten Sprachzertifizierungen in Französisch B1? Ein klassischer Fall für die Weiterbildungsberatung.
Oder ist sich die Person nicht sicher, wo ihre Stärken und Fähigkeiten liegen und wie die berufliche Zukunft aussehen könnte? Ein ProfilPASS-Workshop ist eine Möglichkeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen.
Oder stellt sich heraus, dass die Person bereits substantielle Berufserfahrung in einem bestimmten Ausbildungsberuf mitbringt? Dann wird sie auf den Weg zur Kompetenzanerkennung begleitet.
Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, der Sozialökonomie, Info-Integration und den ÖSHZ sowie der Erwachsenenbildung – also all jenen Stellen, die ohnehin mit potentiellen Validierungskandidaten arbeiten – ist dabei besonders wichtig.
In der Weiterbildungsberatung werden Fragen rund um folgende Themen behandelt: Umschulungen, Schulabschluss nachholen, berufsbegleitende Studiengänge, Fernkurse, E- Learning, Quereinstiegsmöglichkeiten in Lehre und Meister, Studieren ohne Abitur, duale Studiengänge, reglementierte Berufe/nicht-geschützte Berufe, Wege zur Anerkennung von Kompetenzen in Ostbelgien und im Umland, finanzielle Unterstützung von Weiterbildungen. Diese Aufgabe stellt hohe Anforderungen an das Ministerium und seine Mitarbeiter.
Die Weiterbildungsberatung und die ProfilPASS-Workshops werden von einer erfahrenen Referentin des Ministeriums angeboten, die seit 2005 Weiterbildungsberatungen durchführt.
2011 nahm sie an einer Qualifizierung zum Thema „Bildungsberatung und Kompetenzentwicklung“ im Umfang von 170 Stunden teil.
Die Weiterbildung schloss mit einer Endarbeit und einer Prüfung ab.
Sie richtete sich an erfahrene Bildungsberater aus NRW und fand im Rahmen des Bundesprogramms „Lernende Regionen“ statt.
Sie ist seit 2011 zertifizierte ProfilPASS-Beraterin und muss alle zwei Jahre ihren Wissensstand auffrischen, um re-zertifiziert zu werden.
Darüber hinaus nahm die Mitarbeiterin an diversen Fachkongressen und Weiterbildungen teil, u.a. in den Bereichen:
- – Visualisierungstechniken
- – Leichte Sprache
- – Interkulturelle KompetenzUm die Dienstleistung in der notwendigen Qualität und Flexibilität gewährleisten zu können, soll eine 2. Person für die Umsetzung des Projekts eingestellt werden.Die allgemeine Weiterbildungsberatung ist und bleibt kostenlos.
Die im Rahmen des Projekts geschaffenen Angebote umfassen, wie eben dargelegt, allgemeine Kompetenzbilanzierungen, die mit Hilfe der ProfilPASS-Methode erarbeitet werden.Die ProfilPASS-Methode unterstützt Menschen, ihre Kompetenzen systematisch zu ermitteln und darzustellen.Ihre Rolle in Familie, Freizeit und Ehrenamt ist dabei genauso wichtig wie ihr beruflicher Werdegang.
Indem sie sich mit ihrem Tun und Handeln auseinandersetzen, erkennen sie ihre Kompetenzen.
Was muss man sich unter einem ProfilPass nun vorstellen?
Es handelt sich um eine strukturierte Sammlung von Materialien über die bisherigen Berufs- und Lebenserfahrungen.Mit Unterstützung der ProfilPASS-Beraterin ermitteln die Ratsuchenden ihre Kompetenzen anhand von Reflexionsübungen.
Dabei werden personale Kompetenzen (wie Eigenverantwortung), Handlungskompetenzen (z.B. Selbstmanagement), sozial-kommunikative Kompetenzen (wie Anpassungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit) sowie Fach- und Methodenkompetenzen (z.B. Organisationsfähigkeit, Konzeptionsstärke) erfasst.Die Kompetenzbilanzierung besteht aus Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung und einer Nachweissammlung (z.B. Arbeitszeugnisse von Unternehmen, Youthpass, Ehrenamtnachweis).
Am Ende des Prozesses stellt der Berater einen Kompetenznachweis aus, der die Zusammenfassung der erfassten Kompetenzen beinhaltet.
Er bietet auch eine gute Basis zur Nutzung der EUROPASS-Werkzeuge.Dieser Kompetenznachweis ist nicht mit einem Zertifikat gleichzusetzen.
Nur nach erfolgreichem Nachweis von berufsbezogenen Kompetenzen über die C-Prüfung an den ZAWM kann eine – noch auszuarbeitende – Kompetenzbescheinigung vergeben werden.Der am Ende des ProfilPASS-Prozesses ausgestellte Kompetenznachweis kann zwar als Basis für die Arbeitsuche und die Bewertung angesehen werden.
Neben der Ausstellung eines Nachweises geht es beim ProfilPASS jedoch vorrangig um die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Schaffung von Klarheit in Bezug auf die berufliche Weiterentwicklung.Die ProfilPASS-Workshops dauern je Einheit 2 Stunden und finden einmal pro Woche statt. Insgesamt umfassen sie 10 Stunden.
Die Einzelberatung dauert in der Regel 1 Stunde und schließt nach 5 Terminen ab.Die ProfilPASS-Workshops zur allgemeinen Kompetenzbilanzierung starten in Eupen und St.Vith im Januar 2019.
Anmeldungen und Termine sind auf der Internetseite www.zukunftswege-gestalten.be bzw. unter www.ostbelgienbildung/weiterbildung zu finden.
Die ProfilPass-Workshops werden über das ESF-Projekt und zu einem geringen Anteil aus den Einnahmen über Teilnehmerbeiträge finanziert.
Arbeitnehmer zahlen 50,- Euro für den Gruppenkurs und 100,- Euro für die Einzelberatung.
Der ProfilPASS wurde vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung durch ein wissenschaftliches Team entwickelt.
Es handelt sich also um ein wissenschaftlich erprobtes Kompetenzbilanzierungsinstrument, das an ein eigenes Qualitätssicherungssystem gekoppelt ist.
Die Beraterinnen sind zertifiziert und werden regelmäßig weitergebildet und erhalten bei Bedarf Supervision.
Ein Begleitausschuss mit allen relevanten Partnern sichert die Qualität des Projekts zusätzlich.
Alle ESF-Projekte werden evaluiert und anhand klar definierter quantitativer und qualitativer Indikatoren gemessen.
Das Zielpublikum des Projekts „Zukunftswege gestalten“ ist vielfältig.
Es richtet sich in erster Linie jedoch an geringqualifizierte Wiedereinsteiger/innen, Umschuler/innen, Arbeitsuchende, Mitbürger/innen, deren ausländisches Diplom in Belgien nicht anerkannt werden konnte.
Auch Studierende, die sich beruflich umorientieren, können an einem Validierungsverfahren in Ostbelgien teilnehmen.
Allerdings handelt es sich hierbei ja um formell erworbene Kompetenzen.
Für Studienabbrecher greifen die bestehenden Anrechnungsmechanismen beim Übergang zu einer mittelständischen Ausbildung.
Das Validierungsverfahren ist in Ostbelgien niedrigschwellig angesetzt.
Die Weiterbildungsberater können Studienabbrechern jedoch eine Orientierung hin zu anderen Validierungsverfahren im In- und Ausland und zu weiteren Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten bieten.
Eine Verbindung zu den Vertretern der Validierungsverfahren im Umland ist bereits gegeben und wird weiter ausgebaut.
Wie eingangs gesagt, soll das Pilotprojekt formal niedrigqualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitsuchende mittels der Validierungsverfahren an bestehende anerkannte Qualifikationen heranführen oder einen Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern.
Es gibt in vielen Bereichen zwar Fachkräftemangel, offene Stellen und Ausbildungsinteressenten – gerade auch aus der Gruppe der Hilfsarbeiter.
Aufgrund der „Kleinheit“ der Deutschsprachigen Gemeinschaft stellte sich die Steuergruppe des Projekts jedoch immer wieder die Frage nach der kritischen Masse für ein Validierungsverfahren.
Während der partizipativen Projektentwicklung wurde deutlich, dass es wenig Sinn macht, in Ostbelgien ein Validierungsverfahren für eine bestimmte Ausbildung zu initiieren, sondern dass es viel wichtiger ist, grundsätzlich an einer Standardisierung der Validierungsregeln innerhalb der mittelständischen Ausbildungen zu arbeiten.
Die Deutschsprachige Gemeinschaft kann also mit ihrem Validierungsverfahren nicht alle Berufe abdecken.
Personen, die substantielle Kompetenzen in einem Beruf aufweisen, für den es in Ostbelgien keine Ausbildung gibt, werden über die im Umland geltenden Validierungsverfahren in Kenntnis gesetzt.
Auf diese Weise ist die Brücke zu anderen Validierungsverfahren gewährleistet und die Möglichkeit der Kompetenzanerkennung gegeben.
Auch verzichten wir für die Pilotphase auf neue, komplexe Validierungsverfahren.
Wir greifen auf die bestehenden Prüfungsverfahren zurück: externe Kandidaten erhalten Zugang zur C-Prüfung der ZAWM.
Das Fachkräftemonitoring ist übrigens auch ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung auf dem hiesigen Arbeitsmarkt noch genauer analysieren zu können und zielgerichtet und konzertiert auf den Fachkräftemangel zu reagieren.
Die Mitarbeiterin des Projekts „Zukunftswege gestalten“ nimmt an den Arbeitsgruppen des noch zu konstituierenden Fachkräftebündnisses teil.
Die jüngste Arbeitgeberumfrage wird am 7. Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt.
Aber so viel darf ich schon verraten:
Die Umfrage hat ergeben, dass für 24 % der Arbeitgeber ein Abschluss bei der Einstellung keine Rolle spielt und auf der TOP 10-Liste der Qualifikationen, die in den nächsten 3 Jahren voraussichtlich eingestellt werden, steht auf Platz 1: ohne Abschluss/Qualifikation.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
das Projekt „Zukunftswege gestalten“ ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung Validierung nicht formal erworbener Kompetenzen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Das formale Bildungswesen, die Unternehmen, die Anbieter aus der Erwachsenenbildung, der Sozialökonomie und Integration sowie nicht zuletzt der Beschäftigung sind Schlüsselakteure in der Validierung von nicht formalem und informellem Lernen.
Diese Arbeit muss durch einen institutionellen Rahmen koordiniert werden und das haben wir nun in Angriff genommen.
Im Mittelpunkt all dieser Anstrengungen steht aber immer der Einzelne mit seinem ganz individuellen Lern- und Lebensweg.
Menschen, die sich in Vorschalt- und Integrationsmaßnahmen wie Work&Job, Werkstatt Cardijn und der Dabei VoG befinden, erhalten durch das Projekt „Zukunftswege gestalten“ Anreize, ihre fachlichen Fähigkeiten zu erweitern und ihre beruflichen Perspektiven zu verbessern.
Sie können ihre informell erworbenen Kompetenzen beispielsweise im Bereich Garten- und Landschaftsbau, Metall- oder Holzverarbeitung anerkennen lassen.
Menschen, die den Integrationsparcours erfolgreich beendet und somit das Sprachniveau Deutsch A2 erreicht haben, stellt sich oftmals die Frage, wie es beruflich weiter gehen kann.
Auch hier setzt das Projekt „Zukunftswege gestalten“ an.
Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Validierung ist, dass alle Akteure erkennen und akzeptieren, dass das Verfahren maßgeblich dazu beiträgt, die übergreifenden politischen Ziele wie lebenslanges Lernen, Beschäftigungsfähigkeit und soziale Integration zu erreichen.
Hier sind wir mit dem Projekt „Zukunftswege gestalten“ nun auf einem guten Weg, auch wenn wir sicherlich noch Überzeugungsarbeit leisten werden müssen und bei der Umsetzung Erfahrung sammeln werden.
Auch das ist lebenslanges Lernen.
Aber hier geht Probieren über Studieren:
Erst durch das Umsetzen kann Validierung mittelfristig zu einem integralen und gleichwertigen Bestandteil der Qualifikationssysteme werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.