In der Plenarsitzung vom 21. November 2016 ging Alexander Miesen für die Fraktion der PFF auf die Problematik der Radikalisierung ein. Im Folgenden finden Sie den Redebeitrag zum Nachlesen.
Werte Mitglieder aus Regierung und Parlament,
zum Thema Radikalisierung interveniere ich heute, nicht nur weil es mir ein Anliegen ist, sondern auch weil ich diese Thematik in meiner Funktion als Gemeinschaftssenator verfolgt habe. Der Senat hat im vergangenen Juni die Arbeiten einer Sonderkommission zu diesem Thema mit einem Bericht abgeschlossen.
In 15 Minuten Redezeit ist es allerdings nicht möglich, die Problematik mit all ihren Facetten, Ursprüngen und Konsequenzen zu behandeln. Ich könnte vom IS reden, von Syrien und den Konflikten der Region, von Waffenhandel und Waffenbesitz in Belgien, von Hasspredigern und nicht anerkannten Moscheen, von den Situationen in unseren Gefängnissen, uvm. Ich beschränke mich aber auf einige mir wichtig erscheinende Bemerkungen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ich verzichte dabei darauf, das Thema in den belgischen Kontext zu setzen, der uns allen bestens bekannt ist.
- Ich denke, dass es heute aus zwei Gründen wichtig ist diese Debatte zu führen und dass sie heute an genau der richtigen Stelle geführt wird. Erstens ist die DG zwar nicht die Brutstätte von Radikalisierung und Terrorismus, sie ist aber auch keine Insel der Glückseeligen. Daher ist es wichtig, dass auch unser Parlament das Signal nach außen sendet, dass wir uns der Problematik bewusst sind, dass wir uns mit der Radikalisierung beschäftigen und dass wir etwas dagegen tun. Das Signal ist gleichermaßen wichtig für die allgemeine Bevölkerung als auch für jene, die radikalisierte Standpunkte einnehmen. Auch in der DG werden wir es nicht ohne Weiteres hinnehmen, dass extreme Weltanschauungen vertreten werden.
Zweitens sind die Kompetenzen unserer Gemeinschaft derlei Natur, dass wir insbesondere in Punkto Prävention gefordert sind. Ich denke da an die Integration, an das Bildungswesen im Allgemeinen, an die Medien und insbesondere die Medienkompetenz (da das Internet eine zentrale Rolle bei der Verbreitung radikaler Ideen spielt), an die Jugendförderung, an die Justizhäuser und nicht zuletzt auch an die Beschäftigung. Berufliche Perspektivlosigkeit, Orientierungslosigkeit oder mangelnde Integration können Auslöser für radikalisierte Tendenzen sein. In der DG haben wir also eine Reihe von Hebeln in der Hand, um dem entgegenwirken zu können.
- Um erfolgreich in der Vorbeugung und Bekämpfung von Radikalisierung in Belgien sein zu können, ist es m.E. zwingend notwendig, dass die verschiedenen Akteure eine enge Kooperation führen, Absprachen treffen und Informationen austauschen. Eine Person beispielsweise, die während ihres Integrationsprozesses von einem Landesteil in einen anderen zieht, darf diesen obligatorischen Prozess nicht unterbrechen oder mit einem Umzug bewusst unterbrechen können. Ein anderes Beispiel: Bei auftretenden Radikalisierungsfällen muss es einen fließenden Informationsfluss zwischen allen zuständigen Instanzen, ob nun föderal oder föderalisiert, geben. Ein Untertauchen etwa muss unmöglich sein. Es bedarf in dieser Thematik also der engen Zusammenarbeit, allerdings auch über unsere Staatsgrenzen hinaus.
Eine interessante Anregung beinhaltet in diesem Zusammenhang der Informationsbericht des Senats, nämlich die Schaffung einer im ganzen Land einheitlichen Telefonnummer, unter der Radikalisierungsfälle oder auch radikale Propaganda etwa im Internet genannt werden können. Ebenfalls könnten bei dieser Hotline Tipps und Informationen ausgegeben werden.
- Wenn wir heutzutage von Radikalisierung reden, dann denken wir oftmals an die islamistische Radikalisierung. Es ist aber falsch, damit den Islam im Allgemeinen zu verurteilen. Genauso falsch ist es, nur diese Form von Radikalismus im Blick zu haben. Links- oder Rechtsradikalismus sind ebenso gefährlich. Ich erinnere z.B. an die Rote Armeefraktion oder den Nationalsozialistischen Untergrund in der BRD. In diesem Zusammenhang brauchen wir auch Sensibilisierungsaktionen, wie wir sie im PDG gestern und heute mit dem hervorragenden Referat von Prof. Dr. Gideon Greiff zum Holocaust durchgeführt haben.
- Zentrales Mittel zur Vorbeugung von Radikalisierung ist Integration in unsere Gesellschaft. Dazu bedarf es eines wechselseitigen Willens. Einerseits die Akzeptanz unserer demokratischen und gesellschaftlichen Werte sowie unserer Identität und andererseits die Offenheit und Toleranz gegenüber dem Fremden und Neuen. Toleranz allerdings darf nicht dazu führen, dass wir damit unsere Werte verraten. Es darf keine Kompromisse geben, wenn es z.B. darum geht die Gleichheit von Mann und Frau zu verteidigen. Unterschiedliche Uhrzeiten für Frauen und Männer in unseren Schwimmbädern sind nicht akzeptabel. Auch die allgemeinen Menschenrechte sind zu respektieren, genauso wie die Regeln unseres Rechtsstaats. Integrationsverweigerern müssen von unserem Rechtsstaat daher konsequent unsere Werte und Regeln aufgezwungen werden, notfalls mit Hilfe der Justiz und unter Anwendung des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols. Keinesfalls darf es in Belgien rechtsfreie Räume geben, in denen eigene Strukturen und Regeln entstehen. Das würde Toleranz gegenüber der Intoleranz bedeutet und zu einem Scheitern auf ganzer Linie führen.
- Zentrale Aufgabe eines Rechtsstaates ist es die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Zentral für unsere Gesellschaft sind aber Demokratie und Freiheit. Die große Herausforderung besteht demnach darin, wie wir es schaffen können, die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten ohne dies auf Kosten unserer Freiheit zu tun. Oder um es mit den Worten von Benjamin Franklin zu sagen: Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu bekommen, wird am Ende beides verlieren. Wir müssen bei all den Maßnahmen zur Bekämpfung von Terror, zur De-Radikalisierung und zur Erhöhung der Sicherheit sehr darauf achten, dass Bürgerrechte und staatliche Befugnisse nicht in ein starkes Ungleichgewicht geraten. Generalverdächtigungen, Massenabhörungen und Datenmissbrauch haben in unserer liberalen Gesellschaft keinen Platz.
Dies ist leichter gesagt als getan. Der beste Ansatz ist und bleibt die Prävention. Die PFF begrüßt daher, dass die Regierung der DG dies als wichtigen Ansatz nimmt. Meine Fraktionskollegin Frau Jadin wird darauf nun kurz eingehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Alexander Miesen
Fraktion der PFF