Der scheidende Senator, Alexander Miesen, hat in der konstituierenden Plenarsitzung des PDG, am 19. September 2016, das Amt des Parlamentspräsidenten angetreten. Als neuer Senator wurde Karl-Heinz Lambertz mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten gewählt.
In seiner ersten Ansprache als Parlamentspräsident ging Alexander Miesen auf die politischen Herausforderungen im digitalen Zeitalter ein. Er selbst hat es sich zum Ziel gesetzt, Demokratie neu zu denken – weg von der Demokratie als reine Herrschaftsform, hin zur Demokratie als Lebensform.
Im Folgenden finden Sie einige Auszüge aus Alexander Miesens Antrittsrede vor dem Parlament der DG.
Auszüge aus der ersten Ansprache des Parlamentspräsidenten
Alexander Miesen
Werte Damen und Herren,
unser Parlament ist das zentrale Organ zur demokratischen Gestaltung unserer Autonomie. Die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen, wird mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, einige möchte ich nennen:
Die Welt, in der wir leben, ist sehr viel komplexer geworden. Die Globalisierung führt dazu, dass der Nationalstaat und seine Gliedstaaten sich neu erfinden müssen. Globale Probleme wie etwa der Klimawandel, der uns alle in gleicher Weise betrifft, können nicht von einzelnen Regierungen bewältigt werden. Nationale Parlamente und Regierungen sind nicht mehr die einzigen Entscheidungsträger, sie sind Institutionen unter anderen. Von einem pyramidalen System, in dem die Parlamente und Regierungen die zentralen und oberen Entscheidungsträger waren, hat sich die Politik zu einem vernetzten System entwickelt, in dem eine Reihe von Institutionen mitentscheiden.
Wir befinden uns zudem im Zeitalter des digitalen Wandels, der unsere Gesellschaft in Zukunft noch stärker verändern wird, als er es bis dato schon getan hat. Die vernetzte Generation, die mit beiden Beinen in der digitalen Welt steht und nach dem Abendessen auf offener Straße Pokemons jagt, ist längst Realität. Der Zugang zu Wissen ist nahezu unbegrenzt, der Informations- und Nachrichtenfluss hat sich enorm beschleunigt und im Zeitalter von Smartphones und Tablets steht die digitale Welt zu jeder Zeit an jedem Ort jedem von uns zur Verfügung.
Die Gesellschaft verändert sich und die genannten Veränderungen gehören zum Geist der Zeit, in der wir leben.
Zu bedauern ist in diesem Zusammenhang die Tendenz zum Populismus, dem die sozialen Medien und ihre oft oberflächliche Kommunikation eine leicht begehbare Bühne bieten. Populisten bieten auf die sich aus den gesellschaftlichen Veränderungen ergebenden komplexen Probleme vermeintlich einfache Antworten. In einem unterschwelligen Tonfall wird die sogenannte „politische Klasse“ diskreditiert, die nichts anderes als sich selbst im Sinn habe, keine Lösungen anbiete und der Allgemeinheit schade. Nur die Populisten selbst könnten das verhindern und seien die wahren Demokraten. Prof. Dr. Christoph Möllers, Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Humboldt-Universität in Berlin, bringt es meines Erachtens in seinem Buch „Demokratie – Zumutungen und Versprechen“ auf den Punkt, indem er schreibt, dass „Demokratie in einem gewissen Sinne idealisiert wird, aber in vollem Bewusstsein, dass die größten Feinde der Demokratie sie idealisieren, um sich dann an ihrem vermeintlichen Versagen zu weiden“. Welch ein Schaden durch solch ein Verhalten entstehen kann, ließ sich jüngst am sogenannten Brexit erkennen.
Damit unsere Demokratie vertrauensvoll und gestaltungsfähig bleibt, bedarf sie der Modernisierung.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
heute, nach über 40 Jahren parlamentarischer Versammlung und Autonomie der DG und
in einer Zeit, in der das Vertrauen in die rein repräsentative Demokratie schwindet,
in einer Zeit, in der Populisten an Boden gewinnen,
in einer Zeit der massiven gesellschaftlichen Umbrüche, wie sie etwa die Digitalisierung mit sich bringen,
müssen wir Demokratie neu denken.
Die Zeit der rein repräsentativen Demokratie, in der die Bürger nur alle fünf oder sechs Jahre mit einer Wahl beteiligt werden und die ansonsten nur eine Zuschauerdemokratie ist, ist vorbei. Wir müssen unsere repräsentative Demokratie ergänzen durch neue Formen der Mitbestimmung und Mitverantwortung. Wir müssen neue Wege der Kommunikation und des Dialogs gehen. Wir müssen Demokratie nicht als eine reine Herrschaftsform, sondern als eine Lebensform verstehen. Wir müssen unsere Demokratie erlebbar machen.
Nur so können wir auch in Zukunft gewährleisten, dass unsere Demokratie reaktionsfähig, gestaltungsfähig und anpassungsfähig bleibt. Nur so können die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in unsere Demokratie zurückgewinnen.
Das Parlament der DG kann dazu wichtige Impulse geben. Wichtig dabei ist jedoch, dass wir nicht glauben machen, dass wir aus der DG heraus die Welt verändern können. Was wir aber tun können, ist, die Demokratie im Rahmen unserer Autonomie neu zu denken.
Dazu gehören auch die Festigung unserer Identität und die entsprechende Identifikation unserer Bürgerinnen und Bürger mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Zwei Aspekte, die auch im Hinblick auf die Erweiterung der Autonomie der DG hin zur vollständigen Gemeinschafts-Region, mit allen föderalisierten Zuständigkeiten, von Bedeutung sind. Nur im vollen Bewusstsein unserer eigenen Identität können wir auf Augenhöhe mit Flamen, Wallonen und Brüsselern in Belgien zusammenleben.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
unter dieses Motto – Demokratie neu denken – möchte ich meine Präsidentschaft stellen. Ich lade Sie alle ein, diesen Denkprozess gemeinsam und ergebnisoffen anzugehen und in der DG mehr Demokratie im Sinne der Bürgerinnen und Bürger der DG zu wagen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Alexander Miesen
Präsident des Parlamentes der Deutschsprachigen Gemeinschaft