In der gestrigen Plenarsitzung von Montag, den 14. Dezember 2015, hielt Gemeinschaftssenator Alexander Miesen eine Rede zur institutionellen Situation der DG im Kontext der 6. Staatsreform und der dazugehörigen Kompetenzübertragungen. Auch ging er auf die Gedankengänge hinsichtlich einer möglichen 7. Staatsreform ein. Im Folgenden können Sie seinen Redebeitrag nachlesen.
Sehr geehrter Herr Präsident
Werte Mitglieder aus Regierung und Parlament,
der vorliegende Haushalt trägt für die Deutschsprachige Gemeinschaft die Konsequenzen der 6. Staatsreform. Die Haushaltsbeträge zeigen, welch große Verantwortung an die Teilstaaten und damit auch an die DG übertragen worden ist.
Ein kurzer Rückblick: Bereits im Wahljahr 2007 war vor allem auf flämischer Seite eine große Nachfrage nach einer 6. Staatsreform vorhanden. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungen und zahlreichen Regierungskrisen, wurde im Wahljahr 2010 die Bildung einer Regierung von einem Abkommen zur 6. Staatsreform abhängig gemacht. Dies hatte zur Folge, dass unser Land 541 Tage für die Bildung einer neuen Regierung gebraucht hat und damit einen Weltrekord aufgestellt hat! Als, am 6. Dezember 2011, endlich die neue Regierung Di Rupo vereidigt wurde, begann eine Regierungszeit, die in Sachen Staatsreform vor allem davon geprägt war, das Abkommen in Texte zu gießen und zu verabschieden. Erst mit den Wahlen im Jahr 2014 trat die Reform in Kraft. Neben der Übertragung von bedeutenden Zuständigkeiten an die Gliedstaaten, wurde eine größere finanzielle Eigenverantwortung der Teilstaaten vereinbart. Ebenso werden diese – darunter auch die DG – an der Sanierung der Staatsfinanzen, und der Finanzierung der Alterung der Gesellschaft sowie der Absicherung der Beamtenpensionen beteiligt.
Ist die 6. Staatsreform die endgültige und finalisierende Etappe der Föderalisierung Belgiens?
Die PFF ist der festen Überzeugung, dass dem nicht so ist: Eine 7. Staatsreform ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Auch ohne hellseherische Fähigkeiten, dürfte jedem klar sein, dass die Wahljahre 2018 und 2019 von neuen gemeinschaftspolitischen Diskussionen geprägt sein werden. Durch die scheinbar unvereinbaren Positionen zwischen Flamen und Frankophone werden erneut Spannungen auftreten, bis letzten Endes ein typisch belgischer Kompromisse entstehen wird. Jedoch wage ich nicht zu prognostizieren, wie lange die Entstehung dieses Kompromisses dauern wird oder was dieser Kompromiss beinhalten wird.
Welche Aufgaben hat die Deutschsprachige Gemeinschaft im Hinblick auf die 7. Staatsreform?
Wir müssen uns auf alle Eventualitäten vorbereiten – und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt! Auch müssen wir die jetzige Zeit, in der die institutionelle Weiterentwicklung unseres Landes ruht, klug dazu nutzen, um alle Partner im Inland für unsere Positionen und Forderungen zu sensibilisieren. Wenn der Zeitpunkt zur 7. Staatsreform gekommen ist, müssen die entsprechenden Verantwortlichen in Kenntnis der DG-Positionen sein. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass der Ausschuss I des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft sich dem Thema annehmen wird.
Das institutionelle Gebilde mit drei Gemeinschaften und drei Regionen wurde im Zuge der 6. Staatsreform nicht angetastet. Jedoch entzieht sich dem aufmerksamen Beobachter nicht, dass die Zweigliedrigkeit mit der entsprechenden Unterscheidung von gemeinschaftlichen und regionalen Befugnissen mehr und mehr der Vergangenheit angehört. Die PFF schlussfolgert aus dieser Entwicklung, dass es bei der 7. Staatsreform zu einer Neudefinition des grundsätzlichen institutionellen Gebildes mit drei Gemeinschaften und drei Regionen kommen könnte. Heute erkennen mehr und mehr Verantwortliche, dass die aktuelle Zweigliedrigkeit auf frankophoner Seite in der Ausgestaltung ihrer Autonomie ein Hindernis ist. Die Fusion von regionalen und gemeinschaftlichen Zuständigkeiten wird im frankophonen Landesteil mittlerweile als ein Schritt zu mehr Kohärenz und Effizienz erkannt. Für die DG allerdings, wird diese intra-frankophone Kohärenz dazu führen, dass die Politik der wallonischen Region auf dem Gebiet deutscher Sprache zu mehr Inkohärenz führt. Einer von mehreren Gründen, warum die DG „bereit, gewillt und in der Lage“ sein muss, alle Zuständigkeiten zu übernehmen, die in Belgien an die Gliedstaaten übertragen werden.
In den Augen der PFF darf die Vorbereitungsarbeit nicht alleine durch die DG-Brille betrachtet werden. Natürlich müssen wir mögliche neue Zuständigkeiten und deren Folgen für die DG analysieren und uns mit den finanziellen Aspekten befassen. Zudem müssen wir das gesamtbelgische Staatsgefüge betrachten und uns mit den Fragen beschäftigen, wie es um unsere Vertretung im Senat und in der Kammer bestellt ist. Welchen Formen der Kooperationen mit den anderen Teilstaaten und dem Föderalstaat bedarf es? Wie steht es um die innerbelgische Solidarität? Haben wir eine Position zu einem föderalen Wahlkreis? Welche Rolle sollte der Verfassungsgerichtshof in einem Belgien der vier Teilstaaten innehaben? Sollen die Teilstaaten direkt in den Prozess der Verfassungsrevision eingebunden werden? Wie steht es um die Justiz, um die Verwaltungsgerichtsbarkeit? Was würde das Inkrafttreten von Artikel 35 der Verfassung für die DG bedeuten?
Die Suche nach Antworten auf diese Fragen wird eine schwierige Aufgabe sein, die in den Augen der PFF jedoch absolut notwendig ist. Wir sind daher „bereit, gewillt und in der Lage“ diese Arbeit anzugehen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Ausgangspunkt und Triebfeder der 7. Staatsreform wird nicht die DG sein. Wie Belgien nach der 7. Staatsreform aussehen wird, wird nicht von der DG entschieden werden. Die Vorbereitung auf das, was kommen mag, ist also von großer Bedeutung. Ich möchte abschließend zwei Dinge unterstreichen:
Zum einen ist die Erweiterung unserer Autonomie eine große Herausforderung, doch birgt sie auch große Chancen. Die Probleme mögen in den verschiedenen Landesteilen ähnlich sein, doch bedarf es unterschiedlicher Lösungen. Hierzu ist die Autonomie der Schlüssel. Die Geschichte unserer Gemeinschaft lehrt uns, dass jede Autonomieerweiterung zum Mehrwert für die Bürger geworden ist. So konnte jede DG-Kompetenz erfolgreich gestaltet werden. Wenn wir auch bei einem zukünftigen Autonomieausbau unseren Leitlinien von Kooperation, Bürokratieabbau und Innovation treu bleiben, dann schaffen wir das!
Zum anderen ist das Belgien zu viert für uns Deutschsprachige die einzig wünschenswerte Zukunft. Jede Zuständigkeit, die in Zukunft an die Teilstaaten übertragen wird und nicht an die DG geht, erhöht die Gefahr, dass wir zu einer Unterregion in der Wallonie werden. Wir sind aber keine Minderheit in der Wallonie, sondern eine Minderheit in Belgien. Wir sind keine deutschsprachigen Wallonen und werden es niemals sein. Auch das ist, neben dem Ziel von mehr Kohärenz und Effizienz, ein wesentliches Argument für das Belgien zu viert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Alexander Miesen
Senator
Fraktion der PFF
« Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. »
Alexander Miesen
Senator
Fraktion der PFF