Unser Gemeinschaftssenator Alexander Miesen (PFF) begrüßt die Idee von mehr Bürgerbeteiligung im Senat, warnt jedoch davor, die Mitbestimmung der Teilstaaten auf föderaler Ebene ersatzlos zu streichen. Damit reagierte er auf Reformvorschläge des Abgeordneten Peter Vanvelthoven (SP.A).
Der ehemalige Föderalminister hatte die Diskussion um die Zukunft des Senates neu entfacht. Im Mittelpunkt seiner Anregungen steht die Idee, aus dem Senat eine „Volkskammer“ mit gewöhnlichen Bürgern zu machen, die durch Losentscheid bestimmt werden. Auf diese Weise soll gegen die größer werdende Kluft zwischen Politik und Volk angekämpft werden. Demnach sollen 150 Vertreter ein Jahr lang mit gesetzgebender Arbeit betraut werden.
Die föderale Kammer soll die ‚Volkskammer‘ nur mit einer Mehrheit von 60 % überstimmen können.
Die Überlegung dabei: Weil diese Personen sich nicht der Parteilinie unterordnen und auch keinen Wahlkampf machen müssten, könnten sie den Volkswillen besser vertreten. Die „Volkskammer“ müsse klar festgelegte gesetzgeberische Kompetenzen haben und dürfe nur unter gewissen Bedingungen von der Kammer mit den über Wahlen bestimmten Mitgliedern überstimmt werden können. „Einen Beschluss der ‚Volkskammer‘ sollte die Kammer nur mit Zustimmung von mindestens 60 Prozent ihrer Mitglieder abweisen können“, sagte der SP.A-Politiker gegenüber dem flämischen Rundfunk.
DG-Senator Alexander Miesen steht den Vorschlägen, mehr Bürgerbeteiligung auf föderaler Ebene zu schaffen, aufgeschlossen gegenüber.
„Ich bin der Meinung, dass dies in der Tat Wähler und Gewählte wieder mehr zusammen bringen kann. Deswegen unterstütze ich auch aktiv die diesbezüglichen Initiativen, die es demnächst im Parlament der DG geben wird. Ich finde auch, dass der konkrete Vorschlag von Vanvelthoven interessante Ansätze hat“, sagte er auf GE-Anfrage. Auch die Liberalen hätten zum Thema Bürgerbeteiligung einige Punkte in ihrem Programm gehabt und entsprechende Vorschläge gemacht. „Zudem prüfe ich selbst derzeit, wie es um die Möglichkeit zur Einführung von Volksbefragungen speziell in der DG steht.“
Allerdings warnt Miesen ausdrücklich davor, die Mitbestimmung der Teilstaaten auf föderaler Ebene, die ja derzeit durch den Senat gewährleistet werde, ersatzlos zu streichen: „Jeder Föderalstaat braucht eine zweite Kammer, in der die Teilstaaten über sich selbst und den gesamten Staat mitbestimmen. Ich denke auch, dass insbesondere dem so komplexen und manchmal zerstrittenen Belgien der Senat als Ort, an dem Volksvertreter aus Flandern, Wallonien, Brüssel und der DG zusammentreffen und demokratisch miteinander das Land gestalten, sehr guttut. Je mehr Autonomie die Teilstaaten haben, desto mehr brauchen wir den Senat. In meinen Augen gehört der Ruf nach der Abschaffung des Senates der Teilstaaten daher eins zu eins zum Ruf nach dem Ende Belgiens“, sagt Miesen. In Ostbelgien dürfe man auch nicht vergessen, dass der Gemeinschaftssenator die einzige garantierte Vertretung der DG auf föderaler Ebene sei.
Die anderen Parteien auf nationaler Ebene hielten sich bislang mit Reaktionen zurück. Unmissverständlich fiel das Echo aber bei den flämischen Nationalisten (N-VA) aus: Man wolle offensichtlich unter allen Umständen eine neue Aufgabe für den Senat finden, sagte die N-VA-Politikerin Annick De Ridder, die dort die Fraktion der flämischen Nationalisten anführt. Die N-VA spreche sich für die Abschaffung aus und bleibe bei diesem Standpunkt, betonte sie. Bürgerbeteiligung sei sehr wichtig, doch hätten Losentscheide nur wenig mit Demokratie zu tun. Diese müsse in Parlamenten mit gewählten Mitgliedern ihren Platz haben. „Wenn diese Abgeordneten ihre Aufgabe nicht richtig erledigen, werden sie beim nächsten Mal eben abgewählt“, so De Ridder.
„Es ist schwierig, die Demokratie von innen heraus zu verändern.“
Applaus gab es dagegen von Schriftsteller David Van Reybrouck, der auch Initiator des G1.000-Bürgergipfels gewesen ist. Zum ersten Mal in Europa mache ein Politiker auf diesem Niveau einen ernst gemeinten Vorschlag, der ein Parlament mit Bürgern vorsehe, die durch Losentscheid bestimmt würden. Es sei erfreulich, dass eine Idee übernommen werde, die er bereits in seinem Buch „Tegen verkiezingen“ (dt.: „Gegen Wahlen“, erschienen im Jahr 2013) formuliert habe. „Es ist gut, dass dieses Thema nun auf die politische Agenda gesetzt wird. Die Frage lautet aber, ob die politischen Parteien über Parteigrenzen hinweg Verhandlungen starten und zu einer Einigung kommen können“, so Van Reybrouck. Die Erfahrung der Formation D66 in den Niederlanden habe gelehrt, dass es sehr schwierig sei, die Demokratie „von innen heraus“ zu verändern. „Das ist so, als ob man ein Auto während der Fahrt reparieren möchte“, meinte der Autor. Die „Democraten 66“ (D66) wurden im Jahr 1966 in den Niederlanden mit dem Anspruch gegründet, das etablierte Parteiensystem aufzubrechen. Die linksliberale Partei gilt inzwischen aber als „angepasst“.